Der Schlüssel.

Eine Kurzgeschichte über Pferdelasagne und ein Gefängnis.

Fäulnis kriecht Robert in die Nase, kratzt an ihren triefenden Schleimwänden und beschert dem jungen Mann ein unangenehmes Erwachen. Was da nahezu schmerzhaft klingt, ist es auch. Aber Robert bleibt gelassen. Kein Grund zur Sorge für ihn, denn eigentlich ist alles so wie jeden Morgen. Er ist sich dessen bewusst, dass es des Teufels ungnädiger Handlanger ist, der Retlö, der mit seinen Klauen aus dem Inneren des Nasensekrets heraus nach den fleischigen Wänden der Nasenhöhle greift, um sich an ihnen festzukrallen und dort zu verewigen. So ein gewaltsamer Versuch, sich im labbrigen Nasenfleisch zu verankern, kann aber nur von Misserfolg gekrönt sein. Anstatt sich festzukrallen, schliddert der Retlö mit seinen spitzen Nägeln an den glitschigen Wänden herunter und hinterlässt eine blutige Krallenspur. Zum Nasenhaareraufen, aber der ganze Vorgang findet natürlich nur in Roberts Phantasie statt. Nein, in Wirklichkeit geschieht in seiner Nase nichts Physisches. Der Schmerz rührt alleine von dem Gestank, der aus einer dieser teuflischen Fertiggerichtsverpackungen dringt und sich im Raum sperrig wie ein Dschinn in seiner Wunderlampe breitmacht. Es ist eine aus recyclebarer Pappe gemachte Box der Pandora. Einst mit Leckereien befüllt, ist sie nun für den Pesthauch der Vergänglichkeit verantwortlich. Unausstehlich. Das ausgedünstete Duftwölkchen, stinkt nach reiner Schwefelessenz der Hölle. Zu allem Überfluss, ist Roberts Kabuff hermetisch geschlossen und der zwischen den Wänden vorherrschende Fäulnispartikel-Überdruck macht ein Atmen frischer Luft unmöglich. Immerhin ist wenigstens der Würgereiz schon so überreizt, dass er mit der Zeit einfach abgestorben ist, ansonsten würde er sich wohl im Dauerprotest befinden.

Robert dreht sich auf die Seite. Verdammt, seine Matratze ist wirklich hart. Nur durch häufige Positionswechsel gelingt es ihm, einem Verschlimmern seiner Rückenschmerzen vorzubeugen. Dennoch bekommt er keine Ruhe. Es sind geheimnisvolle Schläge aus dem Nirwana, die ihn verstören. Mit dem auf der Matratze anliegenden Ohr hört er dieses beunruhigende, entfernte Pochen. Ein dumpfer Klang. Als würden schwere Klöppel auf eine mit dicker Nashornhaut überspannte Trommel treffen. Es kommt zweifellos von unter ihm aus dem Boden und pocht unaufhörlich. In einem Rhythmus, der diese kleine, unausstehliche Note von Ungleichmäßigkeit enthält. Als würde jemand versuchen, die Schläge in einen Takt zu zwingen, dies ihm aber nicht ganz gelingen. Die Schläge sind rhythmisch so leicht zueinander verschoben, dass ihre Unregelmäßigkeit dem Zuhörer kaum auffallen, aber dennoch ein verstörendes Gefühl in ihm zurücklassen. Ist es der Sohn des Teufels, Wagü, der in tiefen, düsteren Gefilden unter ihm Pauke übt? Oder ist es eine Botschaft ferner Verwandter aus dem Jenseits an ihn? Das verstörende Trommeln scheint ihn antreiben zu wollen. „Steh endlich auf, du Versager und mach etwas! MACH ETWAS!“. Sind diese Worte Befehle eines Fremden oder kamen sie gerade aus seinem eigenen Mund? Keine Ahnung. Nun reicht es. Man muss dem Wahnsinn Einhalt gebieten. Tag für Tag, das ist die oberste Pflicht an uns selbst! Robert richtet sich auf. Aber er ist noch nicht bereit dazu aufzustehen. Der verkrustete Schlaf in den Augen verdirbt ihm die Sicht und das leichte Pfeifen in seinen Ohren die Laune. Gedankenverloren rotiert er das unförmige Stück Metall in seiner Hand. Selbst im Schlaf hat er es nicht losgelassen. Er fährt mit seinen Fingerkuppen über all die vielen unregelmäßigen Ausprägungen auf und ab. Dann dreht er das kantige Objekt in der Hand um die eigene Achse und verfährt von vorne. Er lässt den Schlüssel selten aus den Fingern. Würde er ihn beiseitelegen, fände er ihn wohlmöglich nicht wieder. Das liegt an der Unordnung. Aber auch an den schlechten Lichtverhältnissen. Der Raum hat keine Fenster, nur eine massive Holztür. Diese Tür hat keinen Türspion, nur ein großes Schlüsselloch. An dem Augenschmaus in Form schmaler, goldener Lichtstrahlen, die durch das Loch hindurchschlüpfen und sich an seinem Metallumriss in tausend kleinen Lichtblitzen reflektieren, erkennt Robert, dass der Tag angebrochen ist. Einen Augenblick verharrt sein Augenblick auf dem Lichterspektakel am Schlüsselloch. Fast so, als könnte es Sinn machen, die Tür aufzuschließen und hinauszuschreiten. Um in eine grüne, gesunde Welt mit einem aderblauen, klaren Himmel und einer Luft, frischer als Minze zu treten und alleine das Atmen zu genießen. Da drängt sich ihm der Gestank wieder ins Bewusstsein. Er sollte etwas unternehmen, will er keinen Nasenkrebs oder gar Schlimmeres bekommen.

Nur welche von den vielen aufgestapelten Verpackungen ist die Schuldige? Könnte es wohlmöglich diejenige sein, in der er den größten Rest an braungrauer Fleischmasse hinterlassen hat? Wahrscheinlich. Aber kann er sie auch bei Dämmerlicht im chaotisch aufgestapelten Turm leerer Pferdelasagne-Verpackungen ausfindig machen? Selbst Rumpelstilzchens Lottchen käme in diesem Saustall mit dem Putzen nicht nach. Denn Robert isst ständig diese minderwertige Fertiglasagne. Warum? Zunächst einmal, weil sie nicht mehr als zwei Euro kostet. Schon das ist für ihn als nicht arbeitsuchenden Unbeschäftigten viel Geld. Aber das ist nicht der einzige Grund. Er isst sie auch, weil er Hoffnung hegt, dass sie echtes Pferd beinhaltet. Dazu muss man wissen, Robert hasst Pferde. Zum einen, da sie ein unrealistisches Gefühl der Freiheit vermitteln, wenn sie wie in Indianerfilmen propagiert, über die weite Steppe der Prärie mit im Wind tanzender Mähne toben. Ein Pferd symbolisiert ein Leben ohne Schranken und doch lässt es dich an Stall und Hürden denken. Und ein Pferd kann dir weh tun. Diese charakterlich äußerst fragwürdigen Tiere wenden dir ihren haarigen Hintern entgegen, treten ihre Beine in deine Richtung aus und galoppieren dann mit mindestens einer Pferdestärke davon. Robert würde schwören, dass es gar mehr sind. Auf ihren Rücken glaubst du dich fest im Sattel zu befinden. Und dann, ohne Vorwarnung, lassen sie dich plötzlich fallen. Oder sie drehen durch und reißen dich im wilden Ritt ins Verderben. Aber am schlimmsten ist immer noch ihr langes Pferdegesicht, dass sie dir so dreist entgegen zeigen. Als würde sich das Biest über dich lustig machen. Deshalb gehört das Pferd in die Wurst. Je weniger es von ihnen gibt, umso besser steht es um die Welt. Dies ist auch der Grund, warum sich Robert nicht von den Lasagne-Verpackungen trennt. Nichts wird weggeschmissen. Sie sind Roberts Trophäen. Es funktioniert nach dem gleichen Prinzip der Jagdpiloten, die sich Abschüsse feindlicher Flieger auf den Leib ihres Flugzeuges pinseln. Jede leer gegessene, schmutzige Pappschachtel steht für einen Pferdesarg.

Robert richtet sich unter heftigem Knacken der Gelenke von seiner Matratze auf. Sein Körper scheint von unten bis oben mit Gasbläschen zwischen den Knochen und Knöcheln gespickt zu sein. Er klingt wie einer dieser funkensprühenden Knisterteppiche, die man als Feuerwerkskörper zu Neujahr zündet. Kein Wunder, wer rastet, der rostet. Und wer den Rost nicht trockenlegt, der wird am Ende einfach so zerbröseln. Für Antihelden wie ihn, gibt es kein explosives Ende in einem Paukenschlag. Helden gehen mit einem Knall. Wie in Netzflax-Filmen. Es macht einmal laut „Knack“ und alles ist vorbei. Aber nicht für ihn. Nein, sein Fall ist ein kontinuierliches Verpulverisieren, dass möglicherweise schon Jahrzehnte vor dem eigentlichen Ende einsetzt. Ein langwieriger Verfall. Die Uhr ist gestellt, Rost hat sich schon angesetzt, aber wirklich schlecht steht es um Robert zum Glück auch noch nicht. Den Slalom um schmutziges Geschirr, lieblos abgelegte Haushaltsgeräte, Müll und diverses, inzwischen nicht mehr identifizierbares, altes Zeug, den Robert auf dem Weg zur Küchenecke zurücklegen muss, hält ihn fit genug, um nicht als brauner Brösel zu enden. Zumindest heute noch nicht. Mit dem Schlüssel fest in die Handinnenfläche gepresst, bahnt er sich seinen Weg wie ein Wohnzimmer-Indiana Jones zur Kochzeile. Haarscharf entgeht er dem Unglück, über den Ostzipfel des Pferdelasagnenverpackungsturms zu stolpern und diesen unter unabsehbaren Folgen für das Klima in seinem Hort zu Fall zu bringen. Der Zimmerüberlastungstag, welcher den Tag darstellt, an dem er für sich entscheidet, dass ihm der Müll und Gestank in seinem Gemach auf Dauer kein menschenwürdiges Leben mehr leben lassen, ist zwar schon lange überschritten, aber dieser Beinahe-Unfall hätte das ökologisches Gleichgewicht gänzlich, unwiderruflich und abrupt zerstören können. Pferdelasagne hinterlässt gefährliche, permanente Müllrückstände.

Man könnte sich fragen, wie Robert auf die Idee kommt, dass seine Lasagne wirklich Pferd beinhaltet. Nun, garantiert ist dies nicht garantiert, denn mit logischerweise ist die Zutat nicht unter den offiziellen Inhaltsstoffen auf dem Packungsetikett aufgeführt. Aber Robert hält Pferdespuren in der Soße für höchstwahrscheinlich. Er hat konkrete Anhaltspunkte und diese vor allem aus verlässlicher Quelle. Den Pferdeskandal hatte ein Pro8-Investigativteam in einer Mittagsreportage aufgedeckt. In dieser haben die sendereigenen Wissenschaftler altes Pferd aus Nutristan, einem der ärmsten Länder aus der Wohlstandsunion, in seiner Lasagne nachgewiesen. Was für viel Empörung und Unmut in der Gesellschaft gesorgt hat, scheint für Robert pure Scheinheiligkeit zu sein. Die unsittlichen Abläufe liegen doch auf der Hand, denn ein jedes Glied der Produktions- und Vertriebskette will noch etwas am alten Gaul mitverdienen und gleichzeitig von nichts eine Ahnung haben. Nach dem Verbreiten von falschen Nachrichten, ist Unwissenheit halt immer noch der beste Schutzschild. Wie läuft das Ganze ab? Man kann sich das so vorstellen: In Nutristan schuften sich die Pferde zu Grunde, bis sie aus antizipierter Altersschwäche regelrecht zusammenklappen. Manchmal fragt man sich gar, ist das ein Schimmel oder schon Schimmel? Die Pferdekadaver werden dann über Schattenfrachter nach Schachmattzien verschifft, wo sie in den großen Fabriken am Hafen von kundigen, aber groben Schlachtermeistern in tausend kleine Teile zersägt und anschließend in den Fleischwolf geschmissen werden. Wer denkt, wir wären jetzt schon beim „Hurtig Kinder kommt zu Tisch!“ angelangt, der irrt sich gewaltig. Nun geht das wirkliche Logistikwunder erst los. Um die Spuren zu verwischen, wird der Pferdefleischbrei vorübergehend als Tierfutter gekennzeichnet und in verschiedene Länder der Wohlstandsunionsperipherie verfrachtet. In Hungarien, der Bürosklaverei und Extremien wird das Fleisch mit herkömmlichem Billigfleischpräkursor vermischt und dann weiter nach Geizigkistan geliefert. Dort treffen dann große Massen des gemischten Fleischbreis ein und werden vom obersten Fleischinspekteur per Stempel als Fleisch identifiziert und klassifiziert. Nun wird das Produkt ins wohlhabende Rüsselsheim gebracht, um dort nach antikem Familienrezept der ominösen Familie Nudolini mit der geheimen Kräutermischung zu einem Exzellenzprodukt verfeinert zu werden. Schließlich wird der Brei in eine Pappform gepresst und unter Hartholznudelplatten und Formatkäse versteckt. Danach fehlt nur noch die Reise nach Scharlatanien, wo ein Qualitätssiegel aufgedruckt wird und schon ist die Fertiglasagne bereit für den Verkauf und Verzehr. Über den Naturdüngemittelkreislauf kehrt die Lasagne dann als Düngemittel nach Nutristan zurück auf die Wiese, aber das ist ein anderes Kapitel der zirkulären Ökonomie. Eine Meisterleistung der Logistik, wenn man bedenkt, dass die Speditionskosten in etwa zehn Mal so teuer wie die Produktionskosten sind und die Lasagne dennoch für ein einziges Münzstück verkauft werden kann. Robert weiß, dass diese Praktiken nicht ethisch sind. Aber er rechtfertigt sie mit seiner bivalenten Situation, mit seiner gefühlten Armut und mit seinem Kampf gegen die Pferde. Das sollte reichen, um Karma-technisch seinen Frevel auszugleichen oder etwa nicht?

Inzwischen hat sich Robert zur Küchenzeile durchgekämpft. Er stöhnt, denn auch hier ist alles dreckig. „Vermaledeit“, denkt er sich, „Der Kaffeesatz in seiner Mokka-Kanne ist so hoch und klebrig, es könnte ein Schokoladen-Brownie sein!“. Er würde ihn ja rauskratzen, aber dazu bräuchte er unverkrustetes Geschirr oder einen sauberen Spachtel. Nicht einmal unkontaminiertes Küchenpapier steht ihm zur Verfügung. Nur ein Knöllchenbad aus dem alten, schon mehrfach benutzten, liegt lieblos aufgetürmt in der Ecke. Zum Putzen müsste er sich etwas einfallen lassen. Aber wäre eine Tasse Kaffee die harte Arbeit überhaupt wert? Robert seufzt. Doch schon kommt ihm ein spontaner Einfall: Leitungswasser ist gesund, kostet wenig und kann direkt aus dem Hahn und ohne Hilfsgegenstände getrunken werden. Genial. Manchmal sind die besten Lösungen so naheliegend und dennoch sehen wir sie nicht. Er nimmt einen kräftigen Zug aus dem Mittelstrahl und achtet behutsam darauf, sich nicht Nass zu spritzen, denn das würde einen schlimmen Juckreiz entfachen. Dieser würde andauern, bis die Kruste auf der Haut wieder trocken ist. Irgendwann einmal hat auch er Seife besessen, die half gewöhnlich gegen das Jucken. Aber dann hat er sie einfach aufgebraucht, ohne neue zu besorgen. Er fragte sich damals in ähnlicher Weise: Ist es die Sache überhaupt wert, reinlich zu sein? Man muss doch Wasser sparen. Klar, ist es nicht viel Wasser, das man beim Waschen verbraucht. Jedoch was wäre, wenn alle Menschen so argumentieren würden? Ist es nicht der demokratische Effekt, der hier den Unterschied macht? Würden sich alle Menschen nur halb so viel Waschen, dann wäre die Sorge vor Trockenperioden nur halb so groß. Und überhaupt, für wen will er schon gut duften? Die eigene Nase gewöhnt sich schnell an den Eigengeruch, sollte er auch eher Tilsiter Uralt als Eau du Chanel ähneln. Gäste hat er sowieso schon seit Sankt Nimmerleinstag nicht mehr. Er würde auch lieber keine haben wollen. Nicht, dass er unsozial wäre, jedoch würde er es vorziehen, Menschen draußen, auf neutralem Boden, zu treffen. Draußen. Sein Blick wandert wieder zu der Tür. Noch immer dringen viele glitzernde Strahlen durch das Schlüsselloch und hinterlassen einen weißen, langgestreckten Abdruck eines wunderschönen Engels auf dem Fußboden. Seine Faust ballt sich um den Schlüssel in der Hand. Eigentlich ist es gar kein großes Ding. Klick-Klack, Ritsch-Ratsch und schon würde er im Licht baden. Aber will er das wirklich? Ist seine Haut noch an UV-Strahlung gewöhnt? Möchte er diese Gefahr eingehen? Vielleicht sollte er lieber einen Regentag abwarten? Das wäre mit Sicherheit sicherer.

„Robby Roboter ist so allein, Robby will nie mehr so einsam sein. Er sucht eine Roboterbraut mit silbergrauen Augen, um sie zu küssen und berühren und an ihr rumzuschrauben…tzzz…Ich bin kein Dämon, doch etwas Böses ist da schon. In meinem Kopf in meinem Blut, genau darum bin ich so gut. Ich bin das Wasser in der Wüste, Reptil im Paradies, niemand dem ich ein Lächeln schenk, der sich nicht küssen ließ …tzzzz…Wenn die Gondeln trauer tragen, und es hallt der Toten Klagen, tief im Nacken das Grauen sitzt. Wenn die Uhr beginnt zu schlagen Kalte, dichte Nebelschwaden, berühren dich sacht. Mitternacht! Loca in ferna in nocte, Loca in ferna in nocte, Animae in nebula. Mitternacht! Tzzzz…Ja, Prinzesschen, du hast’s leicht, deine Eltern sind stinkreich, du bist ach so wunderschön, willst jedem Typ den Kopf verdreh’n. Ja, Prinzesschen, du hast Macht, bist die Königin der Nacht, du bist jung und wunderschön und jeder Arsch will mit dir geh’n. Du tust nur, was dir gefällt, Freunde kaufst du dir mit Geld, der schöne Schein ist deine Welt. Ja, dein Spiegel liebt nur dich mit deinem makellos’n Gesicht. Ja, du siehst wie ein Engel aus, lässt deine Opfer rein und raus, du bist so heiß wie’n Kübel Eis, was soll der Scheiß?…tzzz…Mutter der Mann mit dem Koks ist da, ja mein Junge, dass weiß ich ja. Ich habe kein Geld und du hast kein Geld, wer hat den Mann mit dem Koks bestellt…tzzz…klock! Robert schaltet den CD-Spieler aus. Keines der Lieder, die er damals auf CD gebrannt hatte, will ihm mehr so recht gefallen. Die Lieder auf der CD stammen überwiegend aus seiner EMO-Phase, doch aus der ist er schon lange raus. Seine Gefühle haben sich gewandelt, das Normalste der Welt. Nun fühlt er mehr Gleichgültigkeit als Trauer. Denn wenn man sich erst einmal an eine alltägliche Melancholie gewöhnt hat, dann wird einem bewusst, dass es auch nicht mehr schlimmer wird. Der Sturz ist schmerzhaft, aber, wenn man sich erst einmal im Keller befindet, dann gibt es nur noch Leitern, die nach oben führen, keine nach unten. Robert findet es geradezu befreiend zu wissen, dass er nicht viel verlieren kann. Und die Dunkelheit und Ruhe kann ihm sowieso keiner nehmen. Naja, leider ist es nicht mehr wirklich ruhig, nun ist ihm ein verdammter Ohrwurm hängen geblieben. Der Mann mit dem Koks wird ihn wahrscheinlich bis zum Schlafengehen und auch noch in die Träume verfolgen.

Ein Gewitter zieht auf. Nicht draußen, sondern in Roberts Bauch. Das donnernde Geräusch signalisiert ihm, dass die Zeit gekommen ist, über seine „Must eat“-App Pferdelasagne zu bestellen. Er weiß, dass auch deren Geschäftsmodell ethisch gesehen ein Klumpfuß-Ballett auf heißen Kohlen darstellt. Aber so kommt er an Essen, ohne unangenehmen, sozialen Kontakten ausgesetzt zu sein. Das nennt man Fortschritt und Emanzipation! Der erste Schritt der Emanzipation bestand darin, sich vom Akt des Schlachtens loszulösen. Mit der Erfindung der Schlachterei, zerlegte auf einmal ein Experte das Pferd für dich und somit ward es viel einfacher, das Tier auf kulinarische Weise zu genießen. Dennoch musste man für frisches Pferdefleisch noch zum Schlachtermeister gehen, der dem Kunden mit blutverschmierter Schürze die Hand schüttelte, um das Geschäft abzuwickeln. Auch nicht gerade wirklich angenehm und appetitanregend. In der Folgezeit versuchte man deshalb den Schlachtprozess noch effektiver vom Auge des Käufers zu verbergen. Daraufhin, wurde der Kauf vom Tatort verbannt und der Kunde konnte die Transaktion in einem schicken Kaufhaus tätigen. In diesem blickte ihn eine sexy Fleischthekenarbeiterin lasziv an und hauchte ihm ins Ohr „Darf es noch ein Stückchen von der Wurst sein? Sie schmeckt sooo gut…Oh, es ist die doppelte Menge geworden, wie ungeschickt ich doch bin… aber Du siehst mir wie jemand aus, der mit viel Wurst umgehen kann! Oh ja… passt es also so?“. Diese hinterhältigen, auf die Uhrinstinkte ausgerichteten Verkaufsmaschen führten häufig dazu, dass der Kunde im spontanen Akt der Großzügigkeit mehr von der Wurst nahm, als er eigentlich brauchte. Und dann Zuhause, nachdem ihn seine Fleischthekenarbeiterinnenfantasien verlassen hatten, fühlte er sich regelrecht so, als hätte man ihm die Pferdewurst hinten eingeführt! Mit der Einführung des Lieferdienstes brach dann endlich ein neues Zeitalter des Handels an. Nun gut, auch dieser war anfangs noch verbesserungsfähig. Zunächst musste man telefonieren und Lieferkosten bezahlen, aber sei es drum, kein Prozess startet perfekt. Nun, nur ein paar Jahre später, kann Robert endlich auf angenehmste Weise Pferdelasagne bis zum geht nicht mehr bestellen. In Rekordzeit kommt das Pferd per Knopfdruck von der Wiese auf den Tisch, ohne Lieferkosten und ohne jegliche zwischenmenschliche Interaktion. Doppelt genial!

Nicht ganz so genial allerdings fürs Gewissen. Die kostenlose Lieferung eines 2-Europroduktes per App direkt ins Haus, lässt Robert ahnen, dass der Lieferdienst selbst mit noch deutlich weniger Wert bemessen wird. Und nicht einmal Trinkgeld kann er dem Rider geben, denn sein gesamtes Erspartes ist volldigitalisiert. Dabei macht er persönlich es dem Computer nicht einmal schwer, sich eine aufwendig lange Zahl merken zu müssen. Nein, sein Onlinebanking-Dienst sollte ihm Prämien für das Speichern miniaturisierter Summen zahlen. Selbst der Prototyp des ersten Taschenrechners könnte sich seinen Kontostand ohne Probleme merken. Roberts Taschen bestehen aus Löchern ohne Boden. Trotzdem fühlt er sich schlecht, den armen Rider so auszubeuten. Er ist ja quasi Leidensgenosse. Das sorgt für Empathie, oder etwa nicht? Naja, zugegebener Maßen, fühlt es sich für Robert insgeheim auch gut an. Es verleiht ihm ein Gefühl der Macht. Er sitzt hier ungepflegt und faul in seiner Butze, zu nichts gut und zu nichts nutze und dennoch steht er in der Hierarchie über dem armen Sklaven, der ihm etwas zu Essen bringen muss. Wir blicken gerne nach oben, um diejenigen ein wenig zu beneiden, die es besser als wir haben. Wohltuendes Selbstmitleid macht sich in uns breit. Schlimmer ist es, auf Genossen der gleichen Ebene zu schauen, da wird der Neid dann unerträglich. Gleich blickt Gleich in die Augen, doch das „eine Gleich“ hat eine Kuh mehr auf der Wiese stehen. Unerhört! Oder vielleicht auch nur einen Regenwurm mehr im Boden. Dennoch ist es ungerecht, sollte „gleich“ wohl etwa doch nicht „gleich“ sein?! Ein unlösbares Dilemma. Selten hingegen blicken wir nach unten. Wir schämen uns dann für unsere eigenen, erbärmlichen Gefühle, die wir durchleben. Sie scheinen im Angesicht des Elends nichtig zu sein und trotzdem wollen sie nicht schwinden. Dabei kann nach unten blicken dem Selbstbewusstsein so guttun, denkt sich Robert. Er steckt bis zum Hals im Schlamm, aber er ist allen voraus, denen der Schlamm schon in die Lungen läuft. Auch wenn die Medizin Spuren von Schadenfreude oder zumindest aus Schadenzufriedenheit enthält, so hilft sie Robert dabei, nicht völlig im Boden zu versinken. Er behält sich wenigstens etwas Zuversicht in seinen Zehenspitzen. Den Zehenspitzen, die eines Tages, sobald der Schlamm trocknet, durch die große Tür spazieren werden. Seufzend blickt er auf den sich immer noch breitmachenden, goldenen Lichtabdruck auf dem Fußboden. Fester und fester presst er den Schlüssel in seine aufgeraute Handfläche.

„Ding Dong“ frohlockt die Klingel in hellem Ton und reißt Robert aus seinen Gedanken. Es ist nicht etwa die Türklingel, die ihn aufschrecken lässt, sondern die vom Futterschacht. Besser so, aus einem kurzen Moment der Panik wird ein Hochgefühl! Robert bahnt sich seinen Weg durch die Schmutzwäschehaufen hin zur einzementierten, grauen Stahlklappe in der Wand. Es stellt eine regelrechte Dschungelexpedition für ihn dar, die Wäscheberge zu überwinden. Wenigstens nimmt er ihren Gestank kaum wahr, bzw. wurde der Schweißgeruch der Wäsche vom Lasagne-Duft in die Knie gezwungen. Die beiden Düfte kämpften lange Zeit um die Wette, schließlich wurden die Pferdelasagne-Ausdünstungen vollständig von den Stoffen absorbiert und dem Schweiß bleibt nur noch eine Rolle als kleine Geruchsnote. Gesetz des Dschungels, Auge um Auge, Zahn um Zahn. Gewalt bekämpft sich immer noch am besten mit Gewalt… das Problem dabei ist nur, dass auf diesem Weg am Ende doch die Gewalt siegt. Eine Alternative wäre es, die Wäsche zu waschen. Aber wäre das wirklich sinnvoll? Er lebt im Zeitalter der „On Demand Mode“ und bei keinem Kleiderstück weiß er vorher, ob er es nach dem ersten Tragen überhaupt noch anziehen möchte oder es gleich besser wegschmeißt, beziehungsweise verbrennt. Das Waschmittel ist auch nicht viel günstiger als ein neues Kleidungsstück. Klar, es ist schade um die Ressourcen und die vom Fabrikanten geleistete Arbeit. Wieder könnte man damit argumentieren, dass dieser „On Demand“-Lebensstil die moderne Sklaverei befeuert. Aber würde er die Welt wirklich besser machen, sollte er seine Bekleidungsattitüden revidieren? Und wenn es alle so täten, wäre die Welt dann ein besserer Platz oder würden in Kaschmirstan sogar neue Konflikte ausbrechen, da die ausgebeuteten Arbeiter nicht weiter ausgebeutet werden könnten, sondern entlassen werden müssten? Nein, Robert ist für sich entschlossen, diese komplexen Fragen können nur von der Politik gelöst werden. Dafür finanziere er ja schließlich die Politiker mit seinen Steuern. Besser gesagt, er würde es tun, wenn er denn welche zahlen täte. Wieder kommt ihm die Entschuldigung mit der Ebbe auf dem Kontostand sehr gelegen.

Endlich ist er beim Nahrungsmittelschacht angekommen. Ehrfürchtig steht er davor. Schließlich öffnet er die graue Stahlkappe und ein Triumphgefühl kommt in ihm auf: Es hat wieder mal funktioniert, die Plastiktüte mit der Pferdelasagne ist den Schacht hinuntergepurzelt ohne dabei zu explodieren. Lauwarm ist sie auch noch! Es war ein weiter weg, aber er war es wert. Der Rider hätte sich wirklich das Trinkgeld verdient, aber selbst, wenn Robert genug auf der hohen Kante hätte, besteht bei dieser Übergabemethode nicht einmal die Möglichkeit, ihm welches zu hinterlassen. Logisch, er hat diese Verfahrensweise bewusst gewählt, um jegliche Gefahr, vom Lieferdienst belästigt zu werden, von vornerein unmöglich zu gestalten. Und auch umgekehrt. Es ist nur im besten Sinne beider Parteien. Keiner kann ihm weißmachen, dass der Lieferjunge über seinen Anblick erfreut wäre. Wahrscheinlich würde er dem armen Gastarbeiter mehr Angst einflößen, als der Schlachter dem Lasagnepferd. Das Trinkgeld würde nur einen geringen Anteil des Schmerzensgeldes darstellen, dass diesem zustehe. Da ist es doch besser – wie in vielen Lebenslagen völlig unterschätzt – einfach nicht mehr als eine simple Nummer im System zu sein und sich damit abzugeben. Kein „Ehrwürdiger Herr“ oder „Allerwerteste Dame“, sondern nur eine Kundennummer. Spiegelt seine Einstellung die kalte Distanziertheit der Moderne wider? Nein, welch ein Unsinn. Sich zu einer anonymen Nummer in der Gesellschaft weiterentwickelt zu haben ist eine der größten Errungenschaften und Privilegien der Neuzeit. Nummern schützen die Privatsphäre. Nummern vereinfachen. Nummern genießen Gleichheit ohne Unterschied von Rasse, Geschlecht oder Religion. Nummern brauchen auch keine Sozialen Medien und kein vorgetäuschtes, aufregendes Leben. Wenn Robert daran läge, dass man ihm Anhand von moderner Gesichtserkennungssoftware nachspioniert und daraufhin auf Schritt und Tritt überwacht, könnte er immer noch nach Diktatorien ziehen. Von wegen Nummern sind herzlos, von wegen Mangel an Empathie. Die Leute sollten einfach mal zufrieden sein, den soziologischen Wandel genießen und lernen, sich nicht immer erst zu beschweren, um dann herauszufinden, welche Möglichkeiten die Veränderungen mit sich bringen. Robert hat verstanden, dass jeder Finger, der ihm abgeschnitten wird, auch bedeuten kann, dass er ein Gliedteil weniger besitzt, welches er mühsam lenken und bewegen muss.

So mancher renitente Kritiker würde Robert dennoch vorwerfen, dass alles wären nur gelegen kommende Entschuldigungen für seinen feigen Rückzug aus der Gesellschaft. Das ist jedoch einfach nicht wahr. Er hat den Schlüssel zur Freiheit in der Hand und könnte, wenn er wollte, jederzeit durch die Eingangstür marschieren. Es ist allerdings auch sein gutes Recht und seine bewusst getroffene Entscheidung, dies nicht zu tun. Aber wem sollte er das erklären? Robert weiß, mit den Anschuldigungen wäre noch nicht Schluss, leider hören die Vorwürfe aus den Reihen der Normalen nicht auf. Nicht nur Feigheit würden sie ihm unterstellen. Man würde ihm gar vorwerfen, asozial zu sein. Unfähig mit anderen Menschen umzugehen. So als wäre er eine andere Spezies. Ein Affe, der nicht die menschliche Evolutionsstufe erreicht hat. Doch das stimmt nicht. Er hat überhaupt nichts gegen Gesellschaft und auch er könnte eine Bereicherung für seine Mitmenschen darstellen. Aber das muss er und auch sein Stolz wollen. Ist es nicht gerade seine persönliche Stärke, dass er nicht immerzu jemanden an seiner Seite braucht oder hundert oberflächliche und austauschbare Freundschaften pflegen muss, deren Existenz mehr eine Last als einen Mehrwert darstellen würden? Nein, er ist halt anders, er braucht wenig Menschen in seinem Leben und das ist auch gut so. Ein Talent! Das er niemanden hätte, ist einfach gelogen. Eine Unterstellung, ein Unrecht! Sollen doch all die unstabilen Seelen ein gemeinsames Kartenhaus bauen, wenn Wind weht, stürzt es dennoch ein, egal aus wieviel Karten es besteht. Er besitzt vielleicht nur eine Karte und diese hat auch noch einen Knick, aber gerade deshalb kann man sie alleine aufrechtstellen! Er hat gar nichts zu rechtfertigen! Robert schäumt. Nun spürt er auf einmal wieder dieses beunruhigende Pochen von unten. Hör auf! Sei doch still, ich denke gerade nach! Will ihm das Getrommel sagen, er mache sich nur etwas vor? Er wirft die halbgegessene Pferdelasagne sauer auf den Verpackungsturm, dieser wackelt, stürzt jedoch nicht ein. Den Schlüssel hat er schmerzhaft tief in die Hand gepresst. Seine Augen starren auf den goldenen Lichtabdruck aus dem Schloss.

Auf einmal packt es ihn. Robert stolpert los. Er arbeitet sich durch das Gerümpel. Es quietscht, es klirrt, es scheppert. Plötzlich hat er es ganz eilig zur Tür zu kommen.  Im Dunkeln lauern Retlö und Wagü. Er darf nicht stehenbleiben. Er rutscht aus. Hastig richtet er sich auf und fällt wieder hin. Er schlägt sich das Knie auf. Blut tritt aus, doch er spürt keinen Schmerz, als er das zweite Mal stolpert. Ein Hochgefühl kommt in ihm empor. Bald ist er frei. Nicht einmal den Fäulnisgeruch nimmt er noch wahr. Als wäre er für einen Moment mit allen Sinnen von dieser Welt entkoppelt. Endlich erreicht er die Tür. Fanfaren verdrängen in seinem Kopf das Pochen und den Mann mit dem Koks. Hastig legt er das Auge aufs Schlüsselloch. Er fängt an zu lachen. Es ist noch Tag. Und der Tag ist wunderschön. Er sieht grüne Wiesen, Bäume, Blumen, Schmetterlinge, einen blauen Himmel. Glitzernde Bergkronen in der Ferne, zwitschernde Vögel. Und keine Pferde sind in Sicht. Kein einziges faules Fohlen, kein herber Hengst, kein stinkender Schimmel oder schäbige Stute, nicht einmal ein einfältiges Einhorn. Er fühlt sich pferdefrei! Seine Hand öffnet sich. Er blickt auf den Schlüssel. Er schaut auf den Lichtabdruck auf den Boden und dann aufs Schlüsselloch. Halt! Etwas stimmt hier nicht. Sein Körper beginnt zu zittern. Ihm wird auf einmal ganz schwindelig und kalt. Enttäuschung macht sich breit. Wie töricht er doch gewesen ist. Er kann nicht weitergehen. Das Problem liegt doch auf der Hand: Es ist der Schlüssel! Es ist der Schlüssel, der ihm den Weg versperrt, nicht das Schloss! Der verdammte Schlüssel. Sobald er ihn ins Schloss stecken würde, dränge kein Licht mehr in seine Kammer. Der goldene Lichtabdruck, der ihm in so vielen einsamen Stunden Hoffnung geschenkt hatte, wäre verschwunden. Alles würde in Schatten gehüllt. Die Kleiderberge, die Matratze, der Lasagneturm, der CD-Spieler, der Futterschacht, seine Welt mitsamt Bewohner. Er selbst würde sich das Licht des Lebens nehmen. Retlö und Wagü zeigen ihre scharfen Schneidezähne. Verrückt. Um ein Haar hätte er all das, was er sich mühsam aufgebaut hat, in einem Akt der Torheit zu Nichte gemacht. In hohem Bogen wirft er den Schlüssel ins Dunkel der Kammer. Scheppernd verschwindet er in der Schwärze. Ihn wiederzufinden, wird kaum möglich sein. Aber auch nicht nötig. Robert hat es versucht. Man kann ihm keinen Vorwurf machen, er hat es versucht, er hat alles versucht. Aber im Letzten Moment, bevor es ein Unglück gab, hat er die Reißleine gezogen. Dafür sollte man ihm Achtung zollen. Eindeutig. Immerhin ist er die Schmerzen des in die Handfläche drückenden Metalls losgeworden. Und nun herrscht Stillte.

Doch die Stille währt nur kurz. Da klopft es so plötzlich wie unerwartet an der Tür. Robert fällt einen Moment in Schockstarre. Ein kalter Sog zieht von den Fußspitzen bis zum Herzen. Ein wildes Kribbeln zwischen Schädeldecke und Haarspitzen. Wieder klopft es an der Tür. „Wer ist dort?“, bringt er schließlich stotternd heraus. Sein Mund ist so trocken, er spürt die Rauheit seiner Zunge. „Ich bin es, dein Herzchen!“ antwortet ihm eine zärtliche, weibliche Stimme. Einen Moment herrscht Stille. Herzchen? Hatte er eine Liebhaberin? Was hat das zu bedeuten? „Du bist doch das Hirnchen! Ich möchte gern mit dir sprechen!“. Robert ist verwirrt und verunsichert. „Ich würde dich gerne reinlassen, aber ich habe den Schlüssel für die Tür verloren! Scheinbar bin ich gar nicht mal so klug…“. Robert blickt ins Dunkle. Nichts zu machen. Einmal in Dunkelheit gehüllt, verschwindet man dort für immer. Es sei denn man macht auf sich aufmerksam, so wie die Pferdelasagne. „Das macht nichts, ich habe einen eigenen!“. Robert bekommt es wieder mit der Panik zu tun. „Du hast einen Schlüssel? Woher? Wer hat ihn dir gegeben? Das ergibt keinen Sinn!“. Es kichert hinter der Tür. „Du Dummerchen, willst mich wohl zum Narren halten! Ich bin es doch, der an dich vermietet!“. Zeitgleich mit diesen Worten hört Robert, wie ein Schlüssel ins Schloss eingeführt wird. Die Angst keimt in ihm auf. Er hört Drehgeräusche. Langsam und schwerfällig. Der Lichtkegel fällt nicht mehr in den Raum, es herrscht noch mehr Dunkelheit. Die dritte Stufe von schwarz. Aber zu Roberts Erstaunen wird es nicht völlig dunkel. Kleine, funkelnde Strahlen stoßen immer noch durchs Schloss. Robert faltet sich die kalten Hände auf der heißen Brust. „Keine Sorge, ich bin genauso aufgeregt wie du!“. Auch in der zarten, weiblichen Stimme schwingt ein Hauch von Verunsicherung mit. Jetzt nimmt Robert auch sie wahr. Er war so auf seine Probleme fixiert, dass er gar nicht daran gedacht hat, wieviel Überwindung es seinen Gast gekostet haben muss, an seine Tür zu klopfen. „Deshalb habe ich auch so lange gebraucht um vorbeizuschauen!“. Das Pochen ist zurück. Robert rutscht auf dem Boden von der Tür weg, aber kommt nicht weit. Auf einmal schwingt die Tür auf, und der ganze Raum füllt sich mit Licht. Roberts Augen sind diese Helligkeit nicht gewohnt, und für einen Moment sieht er nichts. Er spürt wie die Sonne heiß auf seiner Haut brennt. Es ist leicht schmerzhaft, aber irgendwie auch angenehm. Blinzelnd macht er die Silhouette einer Person aus, die in dem Türrahmen steht, doch kann er nicht erkennen, wer oder gar was dort steht. Aber Robert fühlt sich sofort erniedrigt und blickt von einem Müllberg zum anderen. „Entschuldige, die Unordnung, den Geruch…normalerweise bin ich nicht so… aber da war dieser Tag, an dem alles anfing…und auf Tag folgte Tag und immer schneller… und irgendwann ward nur noch Nacht…und…“. Die Schattensilhouette macht einen Schritt vorwärts. „Psssst. Gib dir keine Mühe. Du musst dich nicht rechtfertigen! Ich akzeptiere dich so wie du bist!“. Robert reibt sich die Augen und versucht im zweiten Anlauf etwas zu erkennen. Und dann kann er nicht mehr anders als zu Starren. Seine Kinnlade klappt ihm runter. Sein ganzer Körper fängt wieder an zu Zittern. Er möchte weinen. In der Tür steht sein Alptraum. Er sieht einen Pferdekopf auf Menschenkörper. Ist es ein Mensch mit Pferdemaske? Oder ein Pferd im Menschenkostüm? Wieso ihm, wieso hier? Das Pferd hält ihm die Hand hin. „Was ist, reiten wir aus?“. Robert starrt noch immer auf die seltsame Gestalt. Er schaut vom Kopf auf die ausgestreckte Hand, auf den Kopf und wieder auf die Hand. Dann schlägt er schließlich ein. „Ja ich denke, ich könnte etwas Ausritt gebrauchen!“. Das Haus bleibt leer zurück. Robert würde es gerne anzünden, aber er entscheidet sich dagegen. Ganz sicher wird er den Schlüssel und all das, was ihn davon abhält, ihn zu benutzen, nochmal brauchen.

Schadenfreunde

(c) 2023 Alle Rechte vorbehalten.

SOCIAL

(c) 2023 Alle Rechte vorbehalten.