Crazy Colleague #9
Der Staubfänger

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Die Geschichte des Kollegen

„Wo habe ich noch gleich meinen Groschen für das Münztelefon verlegt? Ich wollt doch beim Videokassettenverleih anrufen, jetzt wo mein Plattenspieler kaputtgegangen ist!“

Gefährlich:  10

Nervtötend: 20

Kompetitiv:  10

Inkompetent: 40

 

Der Kollege

Erinnerst Du dich noch wie es damals war? Nein? Wahrscheinlicht tust Du das nicht, denn zu den Zeiten, als der Staubfänger seine ersten Schritte im Arbeitsleben machte, warst Du bestimmt noch gar nicht auf der Welt. Lass uns dieses Kapitel also wie ein Märchen angehen: Es begab sich zu einer Zeit, zu der die Stechuhr noch „Kling“ beim Stechen machte, in der sich die feinen Herren noch Schuhcreme in die Haare schmierten, um regelrecht wie „geschmiert“ auszusehen und die Frauenzimmer noch höflich einen Knicks zur Begrüßung machten. Um uns die Welt Hermanns, dem alten Staubfänger, vorzustellen, können wir gar nicht anders, als uns Schwarzweißbilder vors innere Auge zu rufen. Es waren die abenteuerlichen Zeiten der Pioniere des Wirtschaftswunders. Hermann gehört derjenigen Generation an, die die Babyboomer zu verantworten hat. Zeiten, in denen der fleißige Arbeiter ein Jahresgehalt aufsparte, um sich eine Waschmaschine davon zu kaufen und diese überglücklich zum Stolz der Familie herauferkor – Die Brumschneisens von nebenan hatten nämlich noch keine! Die Plattenspieler spielten fröhliche Volks- und Tanzmusik, das bezopfte Milchmädchen brachte die Milch in einer Kanne frisch vom Bauernhof nach Hause und sonntags saß die ganze Familie nach dem Besuch beim Pfarrer mit einem Stück Apfelkuchen zusammen und erzählte sich den letzten Dorftratsch aus der Nachbarschaft.

Ist es dir gelungen, in diese altertümliche Welt, aus der Hermann stammt, einzustauben, äh, einzutauchen? Wenn ja, dann empfindest Du jetzt vielleicht etwas Mitleid mit deinem Kollegen. Denn dieser arme Kerl muss sich in den letzten Arbeitsjahren vor seiner wohlverdienten Rente mit einem Haufen von neumodischem Schnickschnack, technologischen Krimskrams und digitalem Firlefanz herumschlagen. Ungefähr gestern erst, hatte ihm sein Enkel beigebracht, dass den Computer „herunterfahren“ nicht bedeutet, ihn zum Ausmachen in den Kofferraum des PKWs zu laden, um ihn gen Süden zum nächsten Gewässer zu fahren und dort im hohen Bogen hineinzuschmeißen. Auch hatte er seine Mühe zu lernen, dass die freundlichen Damen aus dem Spamordner seiner Mail nicht wirklich auf ein spannend-knatterndes und gar kostenloses Parkplatz treffen mit ihm aus sind. Dreimal hatte er ihnen nun schon Geld gesendet, nur um dann alleine, den Abend an der Autobahnraststätte zu verbringen – Abgesehen von ein paar, miesmutigen Fernfahrern, die aber bis auf eine geteilte Leidenschaft für billigen Korn, nicht ganz der gewünschten Gesellschaft entsprachen. Und auch die Nachricht, dass er von einem entfernten Verwandten 100 Bitcoin geerbt hat (Kalipto-Währung? Was ist denn das? Schokotaler wären ihm eh lieber gewesen!), hatte er wohl irgendwie missverstanden. Eigentlich kam er ja immer gut ohne den neumodischen, digitalen Unfug zurecht, aber da die Firmenleitung es so entschieden hat, muss er sich nun mit ihm jeden Tag bei der Arbeit aufs Neue rumärgern. Warum eigentlich? Um schneller zu sein? Wozu diese ganze Hast? „Damals haben wir uns noch Geschäftsbriefe per Füllfederhalter geschrieben und die Firma war trotzdem reich!“

Zu Unrecht werden die Staubfänger heute oft nur als eine Last Totholz empfunden. Im Büro kann Hermann auch Vorzüge mit sich bringen. So steht zum Beispiel auf seinem Schreibtisch oft ein großes Glasgefäß mit Werther’s echten Klebebonbons, offen und einladend der ganzen Belegschaft zur Verfügung. Auch seine Lebenserfahrung und sein Wissensschatz über Dinge, die man heute gar nicht mehr lernt, können durchaus hilfreich sein. Wenn dir nach einem schweren Betriebsessen Mal ein Knopf vom Hemd schießt, so braucht er nur eine Nadel und etwas Garn und Schwupps, ist das Hemd wieder wie neu. Steht es mal schlecht um die Moral, vielleicht hast Du eine Präsentation verbockt oder der Chef ist mit deinen Quartalszahlen nicht zufrieden, so zaubert er wie aus dem Nichts einen kleinen Flachmann mit Underberg aus der untersten Schreibtischschublade hervor. Mit der Wirkung der heilenden Kräuter lässt sich Frust und Trauer viel schneller verarbeiten als mit dem besten Seelenklempner. Bist Du mit einer/einem attraktiven Arbeitskollegen/Arbeitskollegin am Anbändeln, so weiß er dir mit väterlichem Rat zur Seite zu stehen, ohne Risiko dein Vorhaben aus Eifersucht oder Neid zu sabotieren, „Hier Jungchen, lad die Allerwerteste doch mit diesem Groschen ins Lichtspielhaus ein!“.

Wenn es aber ums eigentliche Arbeiten geht, so werden die Vorzüge leider schon wieder ein bisschen übersichtlicher. Hermann als Schreibtischnachbarn zu haben, bedeutet in erster Linie, viel Geduld aufzubringen und wissen zu müssen, an welchen Stellen seiner Lebensvorträge ein „Ja“ oder Nicken angebracht sind, ohne ihn merken zulassen, dass der größte Teil deiner Gehirnströme grad für die Arbeit verwendet werden und nicht, um ihm aufmerksam zuzuhören. Gleichzeitig musst Du ein verständnisvoller, gutmütiger Lehrer sein – oder Blindenhund trifft es eher – der ihn durch die schnelllebige Welt von heute führt. Dabei bedarf es eines ganz anderen Vokabulars, um dich ihm verständlich zu machen, als Du es vom Umgang mit Gleichaltrigen gewohnt bist. Zum Beispiel, statt ihn mit Anglizismen wie einer „Datencloud“ oder einem „Remotedesktop“ zur Verzweiflung zu bringen, ist es besser zu sagen „Geh mal mit dem Zeiger zu dem weißen Kasten, wo du die ganzen Texte reinpacken musst!“ Oder „wir richten jetzt mal die Fernsteuerung ein, bei der ich an deinem PC mit meiner Maus Klickeklack machen kann! Magisch, nicht wahr?“

Die Orientierung des Staubfängers

Das Problem

Ein Generationenwechsel ist immer eine Chance und eine Herausforderung. Hier sprechen wir über die Herausforderung. Denn bei der Arbeit führen nicht immer die Alten die Jungen durchs Leben, sondern das Spiel läuft gerne auch andersherum. Solltest Du dir das Büro mit einem alten Silberrücken teilen, so kommen ganz neue berufliche wie auch moralische Aufgaben auf dich zu. Nicht selten bringt der Staubfänger schlechte Laune und Resignation mit sich mit und häufig korreliert seine Arbeitsmotivation negativ exponentiell mit dem Alter. Wenn er Teil deiner Arbeitsgruppe ist, kann er die ganze Stimmung und Produktivität durch seinen Missmut herunterziehen. Es kann eine Mammutaufgabe sein, ihn zu integrieren, aber schon Teilerfolge können die Sache wert sein. Man kann ja nicht erwarten, einen resignierten, alten Käfer in einen modernen Sportwagen umbauen zu können. Ein Fiat Panda würde zunächst schon vollkommen reichen. Die Kommunikation mit Hermann kann auf Grund des Altersunterschiedes allerdings schwierig sein, aber wie Du in den Lösungsvorschlägen sehen wirst, liegt in ihr auch der Schlüssel zum Beheben des Problems.

Lösung 1: Zivildienst

Die Lösung liegt auf der Hand: Gebe dein Bestes, um den Staubfänger durch seinen tristen, behäbigen Arbeitsalltag zu führen. Leiste ihm bei der Bewältigung seiner Aufgaben Beistand und sorge dafür, dass er sich auch auf seine angezählten Tage im Büro noch wohlfühlt (natürlich sprechen wir hier von der Pension und nicht vom Schnitter – Ansonsten hätte der Lösungsvorschlag logischerweise nicht „Zivildienst“, sondern „Hospiz“ geheißen). Die Betonung liegt hier auf dem Wohlfühlen, nicht so sehr auf dem Assistieren, denn natürlich zeigt der Staubfänger bei der Produktivität seine Grenzen. Es klingt einfach, den Plan umzusetzen, aber mach dir nichts vor, die Betreuung eines Hermanns kann richtig anstrengend werden. Doch der Aufwand lohnt sich, mit ihm als Verbündeten, hast Du auch Zugriff auf das Gedächtnis der Firma (solange die Demenz es noch nicht ausgelöscht hat!), denn keiner weiß so gut wie er, wie die Dinge in der Firma wirklich laufen. Falls dir diese Lösung nach zu viel Arbeit klingt, probiere es mit einer der anderen beiden!

Lösung 2: Back to the Future

Um das Zusammenleben mit Hermann zu erleichtern, könnte eine nicht ganz einfache Taktik hilfreich sein:  Baue eine Brücke zwischen der Zukunft und der Vergangenheit. Das Problem der Staubfänger ist, dass sie sich an alle angenehmen Neuerungen schon gewöhnt haben und sich den Vorzügen der Moderne nicht bewusst sind. Sie haben vergessen, dass gewisse hilfreiche Dinge, auf die sie heute nicht mehr verzichten wollen würden, früher nicht existierten. Hermann nimmt nicht einmal die Bedeutung des Treppenlifts für seine spröden Beine wahr! In seinem Schwärmen von den guten, alten Zeiten bemerkt der Staubfänger oft die Widersprüchlichkeit seiner eigenen Annahmen gar nicht. Mit allen Neuerungen steht er auf dem Kriegspfad, denn sie überfordern ihn hoffnungslos und bringen ihn regelmäßig zur Verzweiflung. Dadurch entwickelt er eine generelle Abneigung gegen alles, was das Leben modern macht. Dem müsste aber nicht so sein. Mache ihm bewusst, wie schön es ist, dass er aufgrund neuster Fototechnik nun jeder Zeit Fotos seiner Enkel auf dem PC anschauen kann oder sich dank des elektronischen Ausweises an der Stechuhr nicht mehr so tief bücken muss. Sei Motivator, es gibt garantiert viele positive Aspekte, mit denen Du ihm aufzeigen kannst, dass das Leben nicht nur schlechter geworden ist!

Lösung 3: Frühpension

Am Ende kann man die Wurzel des Problems auf eine ganz simple Formel herunterbrechen: Dem Staubfänger gefällt die heutige Welt nicht mehr so wie sie ist. Ob das daraus rührt, weil er mit ihr nicht mehr Schritt halten kann oder weil er ein unverbesserlicher „Früher-war-alles-besser“-Romantiker ist, spielt dabei kaum eine Rolle. Genauso wenig ist es von Bedeutung, ob seine Wahrnehmung der Wahrheit entspricht oder nicht. Die Welt ist schlecht geworden und daran ist nichts zu ändern. Punkt. Sein einziger Hoffnungsschimmer liegt in dem, was nach der Arbeit kommt: Die Pension! Und da müssen wir ihn so schnell wie möglich hinbringen. Natürlich ist Frühpension nur für diejenigen eine Option, die genug auf der hohen Kante haben. Aber vielleicht gibt es eine Möglichkeit, für unseren Kollegen eine Art Frühpension zu simulieren? Biete ihm eine entschleunigte Welt. Erwarte nicht zu viel und passe dich ihm in Gesprächen an. Tausche Plätzchenrezepte von deiner Oma aus, lausche mit ihm den umschmeichelnden Klängen von Radio Maria oder der Schlagerparade. Trefft euch nach der Arbeit zum Entenfüttern im Park oder an einer Baustelle, um den Baggern beim Baggern zuzuschauen. Diese Entschleunigung kann den Staubfänger vielleicht nicht durchweg positiv stimmen, aber ihn zumindest lehren, auch das Hier und Jetzt wieder zu schätzen. Helfen tut es bestimmt. Die Frage ist vielmehr, ob Du diese Tortur durchstehen kannst.

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