Crazy Colleague 3
Che Guevara mit Rolex

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Die Geschichte des Kollegen

Eine Lüge ist ganz gleich, wie gut sie auch gemeint sein mag, immer schlechter als die bescheidenste Wahrheit! Che Guevara

Gefährlich:  30

Nervtötend:  50

Kompetitiv:  60

Inkompetent: 50

 

Der Kollege

„Liebe Genossen, äh, ich meine Kollegen und Kolleginnen, aller Arbeitsgruppen, vereinigt euch! Dank der harten Arbeit und des Schweißes eures Tuns, muss auch im nächsten Quartal keiner von uns Hunger darben! Als Anerkennung für eure Leistung, möchte ich euch dieses Mettbrötchen-Frühstück ganz auf meine Kosten spendieren!“ Der Beifall bleibt Verhalten, aber Ernst sonnt sich in Selbstzufriedenheit, denn er hat einen Beitrag im Kampf gegen die Armut der Arbeiterschaft geleistet. Als Abteilungsleiter ist ihm seine Mission klar: Er fühlt sich dazu berufen, die Interessen des kleinen Mannes im schwierigen und kalten Alltag der Bürokolchose zu verteidigen, ohne sich dabei von den bösen Fängen des Kapitalismus vereinnahmen zu lassen. Das klingt wahrlich nach einer Revolution auf der Chefetage! Leider liegen jedoch Anspruch und Wirklichkeit mindestens einen Staatstreich voneinander entfernt. Denn zur selben Zeit Chef sein und Kommunist sein ist nicht einfach. Ernst bemüht sich, aber so ganz will es ihm nicht gelingen. Da fängt das Problem schon bei seinem Charakter an. Denn der Wettkampf ist einfach Teil seiner Natur, sonst hätte er es nie so weit in diesem kompetitiven Umfeld geschafft. Erst muss er nehmen, um anschließend geben zu können. Nur sein Ehrgeiz und sein Kampfeswille, die Konkurrenten im Karriererennen auszustechen, haben ihn in seine leitende Funktion gebracht. Dort angekommen, steht er allerdings vor einem Dilemma: Er ist zwischen seinen kommunistischen Idealen und der Verführungskraft des Konsums zweigespalten. Umso weniger überraschend sind seine bipolaren Charakterzüge.

Ernst ist überzeugt davon, dass im Kapitalismus die Wurzel allen Übels steckt und mit stolz präsentiert er in seinem Bücherregal „Das Manifest“ von Karl Marx und Friedrich Engels. Gut abgestaubt, hat er den dicken Schinken in die Mitte der mit Spinnenfäden übersäten Bücherreihe gestellt. Es ist mehr als nur ein Buch für ihn, hier steht seine Lebensphilosophie schwarz auf weiß niedergeschrieben. Und dennoch kann er nicht ablassen: Zwar liegen ihm die Weisheiten aus dem Manuskript am Herzen, aber am Ende ist der goldene Glanz einer schön polierten Rolex doch zu verführerisch, um nicht zuzugreifen. Das Leben ist da einfach nicht fair. Warum nur, musste ihn die schicke, kleine Uhr im Schaufenster so verdammt aufreizend anfunkeln und seine Werte auf die Probe stellen? Aber was soll es, man gönnt sich ja sonst nichts! Und überhaupt, nun da die armen Arbeiter schon in Leid und unter Ausbeutung dieses teure Baby gefertigt haben, da wäre es doch eine Verschwendung von Ressourcen, es sich nicht um das Handgelenk zu schnallen und würdevoll schauzutragen. Genau genommen, ist er das ihren Mühen sogar schuldig!

Wie Du sicherlich schon gemerkt hast, ist Ernst nicht immer ganz kohärent in seiner Weltvorstellung, was ihn zu einer nicht ganz einfachen Persönlichkeit macht. Das Problem liegt auf der Hand, in seiner Chefrolle befindet er sich stets in einem inneren Gewissenskonflikt. Er will Chef in einem kapitalistischen System sein und dennoch zu den Guten gehören. Um diesen Spagat zu schaffen, redet er sich ein, so etwas wie ein Revolutionsführer zu sein. Dadurch wandert er hoffnungslos verloren in einem Minenfeld des Kompromisses. In diesem versucht er durch gemeinnütziges, antikonformistisches Handeln seine Ideale und Selbstwahrnehmungen aufrechtzuerhalten, ohne dabei einen falschen Schritt zu machen, der seine Karriere hochgehen lässt. Ernst entwickelt dabei eine Art von Schizophrenie, denn er kann sich mit rangoberen Firmenvertretern und Geschäftskollegen nicht auf die gleiche Weise wie mit dem einfachen Fußvolk geben. Deshalb gibt unser Che Guevara mit dem Verstreichen der Zeit seinen heimlichen Guerillakampf im Namen der Moral mehr und mehr auf und sein „Wir-sind-alle-gleich“ Auftreten verkommt zur Schmierenkomödie. Die Unterstützung des kleinen Mannes findet nur noch zum Schein statt. Aus Boni und Geldern werden Mettbrötchen und aus Mettbrötchen werden schließlich steuerfrei erworbene Firmengutscheine. Es ist immer die gleiche Geschichte mit Schönwetterwohltätern wie Ernst, sie werden nach und nach vom Reichtum verdorben. Einst als ein großer Hoffnungsträger gefeiert, endet er mit seinen haltlosen Versprechen schließlich bei der Glaubwürdigkeit eines Bananenrepublik-Diktators.

Klingt nach einem speziellen Charakter, so als wäre Ernst ein exotischer Sonderfall? Dem ist aber nicht so. In Wirklichkeit, sind Cheftypen wie er gar nicht so rar. Wohlmöglich als Frucht liberaler 68er-Jahre-Erziehung sind Anführer wie Ernst mit guten Absichten in die Arbeitswelt gestartet, aber ab einem gewissen Karrierelevel steht das rote Hemd einfach etwas eng und die eigenen Ideale werden verraten. Der Wandel scheint unausweichlich. Nun gut, in sehr seltenen Fällen gibt es auf hoher Ebene vielleicht standhafte Möchtegernkommunisten, die eisern und unabbringlich an ihrem persönlichen Manifest festhalten. Lobenswert, aber auch sie kochen nur mit heißem Wasser, dass sie anschließend an ihre Untertanen als Trüffelsuppe verteilen. Typischerweise, haben sich solche Möchtegernkommunisten ihre Stellung nicht erarbeitet, sondern sind auf Grund der Erbfolge hineingeboren worden, d.h. sie stammen aus verwöhntem Hause und haben es sich mehr oder weniger als Hobby auf ihren Pelz geschrieben, anders als die gierige Obrigkeit zu sein. Das ist immerhin etwas. Jedoch haben diese Sonntagskommunisten in wichtigen Diskussionen nichts wirklich zu entscheiden. Denn nur, weil einer aus der Piranha-Familie ohne Zähne geboren wurde, werden die anderen nicht gleich aus Solidarität mit ihm Veganer. Ihre Rebellion ist nicht viel ernster zu nehmen, als das aufmüpfige Aufschreien eines pubertären Teenagers und wird deshalb in diesem Kapitel nicht weiter behandelt. Wenden wir uns also wieder Ernst zu, Repräsentant der Klasse von Chef, die mit Überzeugung in sich eine Art von Che Guevara sieht und diese Rolle mit Herzblut verkörpert, bis es um die Verteilung der Schätze in der Karriere geht. Ein Vertreter der Armen und Gebeutelten auf dem Schlachtfeld der Arbeit, der jedoch dank der Macht des Geldes von Anfang an in seiner Mission zum Scheitern verurteilt ist.

Manche Vertreter seiner Art haben zumindest den Anstand die Rolex unterm Hemdärmel und den Porsche in der Garage zu lassen. Jedoch spielt es eine geringe Rolle, wie er vor der Belegschaft auftritt, denn egal wie dezent er seinen Reichtum aufträgt, solche Chef Che Guevaras wie Ernst müssen sich andauernd selbst belügen und Theater spielen, um im Frieden mit sich selbst zu sein. Denn er ist überzeugt von seinem Tun: Dank seiner Großzügigkeit und seiner Weitsicht wird es allen irgendwann bessergehen. Problematisch ist, Ernst ist so an seine eigenen Lügen gewohnt, dass er sie inzwischen selber glaubt. Um sein Gewissen zu beruhigen, bemüht er sich um kleine Wohltätigkeiten und ruft diese dann als große Revolution aus. So ist es typisch für ihn, Privilegien wie noch weißeres Extrapapier für den Kopierer oder 20% mehr Kohlensäure für den Wasserspender für seine Gruppe zu erstreiten, während er sich im Geheimen einen dicken Bonus einstreicht. Mit der Aufrichtigkeit nimmt er es in etwa so genau wie die Milchschnitte mit der Extraportion Milch. Das hält ihn nicht davon ab, vor der Belegschaft große Reden zu halten und mit viel Eigenlob des Öfteren zu betonen, wie dank seines mutigen und kämpferischen Einsatzes kein Angestellter mehr Hunger leiden müsste.

Genauso unangenehm, wie das Selbstbeweihräuchern seiner Großzügigkeit, sind die paar wenigen wirklich authentischen kommunistischen Züge, die mit seiner Persönlichkeit daher gehen. Diese verheißen in der Regel nichts Gutes. Denn alle gleichschlecht zu behandeln ist viel einfacher als alle gleichgut und deshalb geht er oft diesen ersteren Weg. Die Arbeitsweise und Anordnungen in seiner Abteilung sind so unflexibel wie es die Berliner Mauer war, werden aber kompromisslos durchgezogen und verteidigt. Er besteht darauf, der weitsichtige Verteiler zu sein und keiner soll mehr als der Andere haben, er selbst ausgenommen, versteht sich. Sollte ein Angestellter mit einer Forderung an ihn herantreten, so hat er immer eine gute Ausrede im Sinne der Gerechtigkeit zur Hand, denn keiner darf bevorteilt werden. Egal worum es sich handelt, flexiblere Arbeitsschichten, Gehaltserhöhungen, verlängerte Klozeiten oder um das Halten von einer nicht im Firmenlayout enthaltenen Topfpflanze auf dem Schreibtisch, nichts kann gewährt werden. Schließlich muss auch die Unzufriedenheit unter allen gerecht geteilt werden!

Die Orientierung des Che Guevaras mit Rolex

Das Problem

Bist Du ein umgänglicher Typ, so stellt der Che Guevara mit der Rolex kein größeres Problem für dich dar. Im Gegenteil, wenn Du ihn gewähren lässt, dann kann er sogar ganz angenehm sein, da es ihm trotz seiner höheren Stellung nach der Ankererkennung seiner „Gerechtigkeit“ bedarf und er sich deshalb als dein Freund ausgibt. Ungemütlich wird es erst, wenn der Che Guevara mit Rolex die Rolle deines direkten Vorgesetzten einnimmt. Sollte deine Arbeitsmentalität moderner als die der Sowjetunion der Neunziger Jahre sein, dann ist ein Konflikt vorprogrammiert. Denn egal was Du erbittest oder verlangst, er wird garantiert für jeden deiner Wünsche oder Forderungen viel Ablehnung in der Verpackung „gleichgerechter Behandlung“ bereit haben. Aber nicht nur sein Mangel an Flexibilität kann die Galle in dir aufbrodeln lassen. Solang Du kein Fan des billigen Schmierentheaters bist, wirst Du dich auch von seinem Laienschauspiel schnell provoziert fühlen. Er sieht das „Menschliche“ als seine größte Stärke an und erwartet Applaus für seine Darbietung. Nichts würde ihn schneller von seiner Wolke fallen lassen, als unzufriedene Genossen. Du hingegen stehst immer zu unter einem gewissen Druck, deinem Vorgesetzten vorzugaukeln, dass er ein gerechter Chef ist, willst Du seine Gunst nicht verlieren. Ufert ein Konflikt aus, dann wird die Schuld daran selbstverständlich nicht kommunistisch verteilt, sondern wer sie am wenigsten hat, bekommt sie am meisten! Sein Ego besteht darauf, dass seine Führungsqualitäten tadellos sind, will er eine Persönlichkeitskrise vermeiden. Das lässt aber nur einen Schluss zu: Du musst das Problem sein! Dazu wollen wir es nicht kommen lassen. Lies hier nach, wie Du es schaffst, unter diesem schwierigen Chef ein positives Gemüt zu behalten!

Lösung 1: Gib dich Schmalspurenkommunist und genügsam

Die einfachste Möglichkeit mit dieser Art von Chef klar zu kommen, ist es ihm gleich zu tun. Streife das rote Hemd über, dass er dir entgegen reicht und marschiere brav in einer Reihe. Der Che Guevara mit Rolex ist meist nur bedingt auf Suche nach Kreativität und Individualismus in seiner Gruppe. Viel mehr gefällt es ihm, seine Abteilung wie ein Montagewerk zu organisieren, in dem alle gemeinsam am Fließband stehen, das Gleiche tun und so einen schönen Trabanten zusammensetzen. Das mag die Arbeit zwar monoton gestalten und die eigene Weiterentwicklung beeinträchtigen, aber seine Dankbarkeit für dein treues Kameradendasein sei dir gewiss. Sollte sein Führungsstil übermäßig antiquiert und restriktiv sein, sodass dir der Arbeitsplatz wie eine aus der Zeit gefallene Sowchose anstatt wie ein modernes Büro vorkommen mag, gibt es immer noch die Möglichkeit von unten, ganz im Sinne des kommunistischen Manifestes, eine kleine Revolution mit deinen Kollegen anzustreben. Wenn auch das kein Weg für dich sein sollte, ziehe die weiteren beiden Optionen unter Betracht, bevor Du dich dazu entscheidest, in die verdorbene, liberale Welt zu entfliehen und dir einen neuen Job zu suchen.

Lösung 2: Kampf der Kulturen

Ohne je einen offenen Konflikt mit deinem Vorgesetzten zu suchen, könntest Du probieren, dich mit den anderen Kollegen in eurer Arbeitsgruppe zu verbünden und ihnen ein wenig die Augen zu öffnen. Es reicht vielleicht über den Tellerrand zu schauen, um zu sehen, wie gut es doch den Angestellten in anderen Abteilungen geht. Che Guevara wird selten den Wünschen eines Einzelnen nachgeben, aber wenn eine organisierte Gruppe etwas von ihm verlangt, wird er es viel schwieriger haben, sich dagegen zu stellen, schon aus ideologischen Gründen. Selbst wenn es schiefgehen sollte, so kommt es dir hier gelegen, dass in diesem Falle die Schuld gerecht unter den Angestellte geteilt und der Konflikt höchst wahrscheinlich einfach unter den Teppich gekehrt wird, sodass sich dein Verhältnis mit dem Vorgesetzten nicht unbedingt verschlechtert. Wenn eure Wünsche auch nicht erfüllt werden, so führt es vielleicht, um die Moral hoch zu halten, zumindest zu gut gemeinten Gegenmaßnahmen, wie z.B. ein paar weitere Mettbrötchen oder noch mehr kostbare Kohlensäure für den Wasserspender.

Lösung 3: Perestroika!

Michail Gorbatschow hat es doch vorgemacht, auch ein kommunistisches Regime kann sich zumindest teilweise modernisieren und demokratisieren. Wichtig dabei ist es, Che Guevara von Anfang an mit einzubeziehen und ihn glauben zu lassen, alles wäre seine Idee. Man könnte ihn dazu bewegen, winzige Verbesserungen für die Gruppe durchzuführen, wie z.B. gratis Radiergummi. Dann gilt es seine Großzügigkeit überschwänglich zu feiern, sodass er sich wie ein wahrer Anführer fühlt, der die Massen hinter sich hat! „Chef du bist der Größte! Nun kann ich so viele Fehler machen, wie ich will und sie danach einfach ausradieren! Hurra! Viva la revolucion!“ Das war der Köder. Jetzt wo er am Höhepunkt seiner Beliebtheit steht, will er diese nicht mehr verlieren! Er muss mehr liefern, und jede weitere Maßnahme hat dieselbe Begeisterung verdient! Schon bald befindet er sich in einer Verbesserungs-Lobspirale, und er sieht sich in Mitten einer wirklichen Revolution, in der er die Rolle des Helden innehat. Natürlich, ist dieser Plan in der Praxis nicht ganz einfach und spontan durchführbar, aber er greift genau dort an, wo der Che Guevara mit Rolex empfindlich ist: Sein unverwirklichter Traum, als eine gottgleiche Führungsfigur für den armen, kleinen Mann gefeiert zu werden! Und diesen will er, wenn es geht, verwirklichen, ohne selbst eine dicke Rechnung auf dem Tisch zu bekommen oder gar die schöne, goldene Rolex abgeben zu müssen.

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