Crazy Colleague #19
Die sensible Zimmerpflanze
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Die Geschichte des Kollegen

Die sensible Zimmerpflanze ist nur schwer zu halten. Sie gedeiht bei 24-25 °C und einer Luftfeuchtigkeit von 75-77 % im Schatten – oder auch nicht. Gebrauchsanweisung für den Samen eurer Freundschaft: Nach dem Aussähen keimen lassen, in die Sonne stellen, hin und wieder gießen, beim Wachsen zuschauen, ab und zu beschneiden und irgendwann das ganze trockene Gestrüpp in die Biotonne werfen.
Gefährlich: 05
Nervtötend: 85
Kompetitiv: 20
Inkompetent: 30

Der Kollege
Achtung, diese Bedienungsanleitung ist ohne Gewähr und dir hilft weder Arzt noch Apotheker. Denn auch wenn Du dich anstrengst, dir täglich Mühe gibst, alles richtig zu machen und am Ende sogar glaubst, alles richtig gemacht zu haben, so kann die sensible Zimmerpflanze dennoch jederzeit und ohne Vorwarnung eingehen. Egal wie achtsam Du bist, der Verwelkungsprozess schreitet unaufhörlich aus dem Inneren fort und am Ende bleibt nur die Biotonne. Diese ist natürlich nur eine Metapher für euer Verhältnis, bitte entsorge Margarete nicht wirklich. Wenn sie auch eine gewisse Trockenheit und einen Hauch von Fäulnis ins Büro mit sich bringt, Du kannst nie ausschließen, dass noch etwas in ihr lebt.
Kommen wir auf das Wesentliche zu sprechen: Welcher Gattung von Kollegen gehört die sensible Zimmerpflanze an? Der „Ich-fühl-dir-auf-den-Löwenzahn“ vielleicht? In erster Linie ist sie diejenige Person, die dir ständig wegen Nichtigkeiten auf den Zeiger geht. Mindestens drei Mal am Tag spielt Margarete am Temperaturregler herum, weil es ihr zuerst zu kalt, dann zu warm und dann doch wieder zu kalt ist. Wenn das Fenster geschlossen ist, steht die Raumluft, was das Atmen unmöglich macht. Ist das Fenster hingegen offen, so zieht ein unerträglicher Tsunami durch den Raum. Zum Glück werden die Glühbirnen, welche so stark blenden, heutzutage weniger benutzt als früher. Jedoch lassen dich die Energiesparlampen mit ihrem funzelligen Licht auf die Dauer blind werden und sind deshalb auch keine Option.
Wie Du siehst, ist Margaretes Arbeitsleben – und somit das all ihrer Kollegen – mit viel Klage und Leid verbunden. Die Kommunikation mit der sensiblen Zimmerpflanze kann schwerfallen. Dabei fällt sie grundsätzlich, abgesehen von dem Lavieren auf ihrem ergometrischen Bürosessel oder Gymnastikball, relativ wenig auf. Denn um sich von den vielen Gefahrenquellen in dieser Welt zu schützen, führt sie ein recht behütetes, ja manchmal gar abgeschottetes Leben. Wenn wir mal darüber hinwegschauen, dass durch ihr konsequentes Meiden jeglicher auch nur leicht riskanten Freizeitaktivitäten, der Pool an gemeinsamen Gesprächsthemen wahrscheinlich nur sehr flach befüllt sein wird, lässt sie überhaupt selten irgendjemanden an sich herankommen. Sie hat immer einen guten Grund parat, Distanz zu halten. In Wintermonaten sieht sie in dir eine lebensbedrohliche Virenschleuder. Wage es nicht, in ihrer Nähe einen kleinen Huster von dir zu geben! Sie hat das Spray zur Desinfektion schon vollgeladen und entsichert zur Hand, bereit dazu, es dir direkt in den Rachen zu schießen. In heißen Sommermonaten, in denen selbst dem Eisbären sein Kinderpinguin wegschmilzt, kann es hingegen passieren, dass sie den Schreibtischventilator dezent in dein Gesicht ausrichtet, um nicht unter deinen Ausdünstungen leiden zu müssen. Ganz zu schweigen vom Frühling, an dessen Tagen deine Kleidung ein Trojanisches Pferd für hoch allergene Pollen ist.
Du könntest daraus schließen, dass wenn Du mit der sensiblen Zimmerpflanze sprechen möchtest, sich der Herbst anbietet. Aber plane gut, der heiße Sommer kann durch den Klimawandel heutzutage lange andauern, die Grippesaison auf der anderen Seite früh anfangen. Bis die Erinnerungen an Corona gänzlich vorbei sind, wer immer den Zeitpunkt präziser als ein ungeduldiges Bauchgefühl, ein bequemes Ausblenden oder ein chinesischer Regierungsapparat festlegen mag, stehen die Chancen auf ein soziales Beisammensein mit ihr eh ziemlich mies. Zumindest wird dir Margarete nicht ohne Gummihandschuhe die Hand geben, und die mehrlagige Maskenschicht im Gesicht kann eine vernünftige Konversation schwierig gestalten.
Die Sensibilität der Zimmerpflanze wirft Fragen auf. War Margarete schon immer so oder wurde sie von der Arbeitswelt so geformt? In den meisten Fällen, wirst Du eine Person vorfinden, die schon immer eine sehr ausgeprägte, empfindliche Seite besaß, und die kalte Arbeitswelt hat sie dann endgültig eingetopft. Egal ob der hier beschriebene Kollege eher eine Zierpflanze oder gar ein Dornbusch ist, Personen von einem Schlag wie Margarete werden schwerlich vollends in der Firmenwelt erblühen. Dabei kann sie auch eine wunderschöne Rose sein. Aber lass dich nicht von ihrer äußeren Erscheinung trügen, Rosen tragen Dornen und verwelken besonders leicht. Jede sensible Zimmerpflanze hat ihre eigene Geschichte, doch es ist nicht einfach an sie vorzustoßen, da sich Pflanzen bekanntlich schwer durch Sprache verständlich machen. Vielleicht ist es manchmal auch besser, nicht alle Details zu kennen, um nicht von ausspreizenden Ranken einer Schlingpflanze gefesselt und ins Trübsal mit hineingezogen zu werden. Wichtig ist nur, was Du im Hier-und-jetzt tun kannst, um der Pflanze zu neuer Blüte zu verhelfen.

Die Orientierung der sensiblen Zimmerpflanze
Das Problem
Wo liegt das Problem? Die Tatsache, dass es so schwierig ist, an die sensible Zimmerpflanze vorzudringen ist erst einmal gar nicht so schlimm. Dass sie sich aus den meisten Aktivitäten heraushält, kann in vielen Situationen für eine entspannte Harmonie in der Gruppe sorgen, sie selbst löst das Problem ihrer nervenden Präsenz. Klingt super soweit. Seid ihr jedoch zur engen Zusammenarbeit verpflichtet, so kann ihre Empfindlichkeit und geringe Belastbarkeit auch zur Zerreißprobe für euch werden. Besonders groß ist die Herausforderung, wenn der Arbeitgeber strenge Vorgaben und Regeln für das Büroleben vorsieht, dann wird Margarete ohne Kompromissbereitschaft auf deren Durchsetzung pochen. Willst Du dein Leben nicht dürftig wie ein Zeuge Jehovas in gedämpftem Licht, schallisoliert und sozial abgeschottet im Büro dahin fristen und ständig ihren Bedürfnissen hinterher „sklavieren“, so musst Du ordentlich vorsorgen. Es braucht viel Fingerspitzen Gefühl, einen grünen Daumen sozusagen, um das gemeinsame Leben angenehm zu gestalten und das empfindliche Gewächs nicht eingehen zu lassen. Im Folgenden, ein paar Hinweise zur Aussaat, dem Aushärten und der Pflege. Lass die folgenden Vorschläge ein Dünger für euer Verhältnis sein.
Lösung 1: Beethoven und mehr Licht
Die sensible Zimmerpflanze ist sehr empfindlich gegenüber jeder Art von Reizen, darunter auch den akustischen und visuellen, das wurde ja schon gesagt. Empfindlich aber nicht ganz unempfänglich, Margarete ist schließlich kein Alien (diesem haben wir ein ganz eigenes Kapitel gewidmet). Auf bestimmte Reize wird selbst sie positiv anspringen. Es muss darum gehen, die richtige Wohlfühl-Atmosphäre zu schaffen. Das heißt klassische Musik statt Heavy Metal im Büro, Eau-de-Toilette statt Tilsiter-Uralt Käsesandwich und feinabgestimmt gedämpfte, natürliche Sonnenstrahlen, statt Lichtverschmutzung vom Schalter. Was schon Beethoven und Goethe gefiel, sollte auch die Zimmerpflanze zum Wachsen anregen. Und es ist bekanntermaßen pseudowissenschaftlich erwiesen, dass zärtliches Zureden Pflanzen besser gedeihen lässt.
Lösung 2: Beschneiden
Diese Lösung bietet sich dann an, wenn Du es statt mit einer sensiblen Zimmerrose, eher mit einem garstigen Unkraut zu tun hast. Natürlich ist auch dieser Vorschlag metaphorisch zu verstehen. Es ist davon abzusehen, ganz im Sinne des Struwwelpeters dem Kollegen mit einer großen Schere Gliedmaßen abzuschneiden, das kommt weder bei ihm, noch bei der Personalabteilung gut an. Nein, es geht hier mehr darum, alle potenziellen Streitquellen trocken zu legen. Das Ziel ist es, wie in der Botanik vorzusorgen. Zweige die am Vertrocknen sind, müssen rechtzeitig abgeschnitten werden, bevor die ganze Pflanze eingeht. D.h. alle Versuche, eine positive Atmosphäre oder ein gutes Zusammensein aufzubauen, die ins Leere laufen zu scheinen, zu erkennen und einfach zu unterlassen und sich stattdessen auf das zu konzentrieren, was gut funktioniert. Auch wenn das heißt, die Pflanze auf trockenem, hartem Stein gedeihen zu lassen, anstatt auf der weichen Erde, man muss nicht immer das „Warum“ verstehen. Vielmehr sollte man sich in manchen Fällen einfach am unwahrscheinlichen Resultat erfreuen und nicht ins Biotop des anderen eingreifen.
Lösung 3: Wechsel der Erde
Die dritte Möglichkeit besteht aus einem kompletten Wechsel der Blumenerde. Ist diese von oben bis unten durchgeschimmelt, reicht es nicht, die erste Schicht abzutragen. Sie muss komplett ausgetauscht werden. Lässt sich an eurem Verhältnis nur schwer etwas verändern, sowohl im Guten als auch beim Vermeiden von Konfliktquellen, so hilft nur noch eine Veränderung der Rahmenbedingungen, in denen ihr arbeitet. Steckt die Grenzen fest ab, organisiert die Klozeiten, vermeidet unnötig häufiges Aufeinandertreffen. Normalerweise ist die sensible Zimmerpflanze immerhin sehr offen für Planung und wird auch Handel mit dir eingehen. Denn denk daran, Du bereitest ihr sicherlich mehr Kopfschmerzen, als sie dir. Es kann ratsam sein, ihr bei der Aufteilung von Zeiten, Räumen oder ähnlichem, teilbaren Firmengut ein wenig den Vorzug zu lassen. Oftmals pendelt sich die Realität im Arbeitsalltag dann mit der Zeit auf ihre natürliche Weise ein, sodass alle mit der Situation Frieden finden können.
