Crazy Colleague #18
Der ungezügelte Ochse
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Die Geschichte des Kollegen

„Wenn über euch kommt wie ein Sturm, was ihr fürchtet, und euer Unglück wie ein Wetter; wenn über euch Angst und Not kommt. Dann werden sie nach mir rufen, aber ich werde nicht antworten; sie werden mich suchen und nicht finden“ – Die Sprüche Salomons, Bibel.
Gefährlich: 100
Nervtötend: 20
Kompetitiv: 60
Inkompetent: 40

Der Kollege
Hausaufgabe: Schreibe ein Essay, „So stelle ich mir die perfekte Firma vor!“. Du hast ein entspanntes Wochenende lang dafür Zeit, ganz ohne Kollegen, die dir auf den Senkel gehen. Würde es dir leichtfallen, den Text fristgerecht montagmorgens beim Kursleiter einzureichen? Ja? Na schön, wir wissen ziemlich gut, was wir für uns bei der Arbeit wollen: Vor allem mehr Ruhe – vom Chef, von den anderen und von der lauten, weiten Welt. Ginge es bei der Frage aber nicht nur um dich, sondern um die gesamte Belegschaft, würde sich der Essay immer noch so einfach schreiben lassen? Schon schwieriger? Garantiert! Denn die Frage ist nämlich nicht mehr so leicht zu beantworten, wenn wir nicht in egozentrischer Art von uns alleine, sondern in der 1.Person plural sprechen. Die Ideen und Meinungen über ideale Arbeitskonditionen mögen von Individuum zu Individuum stark variieren. Homeoffice, Vier-Tage-Woche, Full-House, Katzen im Büro, Kantine gratis, 24-Stunden Support bei Papierstau, Essensgutscheine, Betriebsausflüge, keine Betriebsausflüge, keine Katzen im Büro…was soll nur wie, wann und wo getan werden? Die Frage wird wieder deutlich einfacher, wenn wir sie aus Sicht der Führung beantworten. Es wäre der Traum einer jeder Firmenleitung, würde die ganze Belegschaft wie ein Streichorchester funktionieren, bei dem ein jeder Ton geschmeidig und harmonievoll ineinandergreift. Der folgende Beitrag könnte als ein Auszug aus dem Essay des CEOs entnommen worden sein oder auch einfach Absatz 104 Paragraph 53 aus dem Betriebsreglement zum Benehmen auf dem Firmengelände darstellen:
Ein jeder Angestellter hat um 8:00 ein und um 17:00 aus zu stempeln. Jede menschliche Ressource hat ihre Funktion, respektiert ihre Agenda und wäscht sich die Hände mit Seife nach dem Besuch der Toilette. Jeder gesetzte Stempel überschreitet nie die Markierung des für ihn auf dem Formular vorgesehenen Bereiches und jede Unterschrift wird einmal in leserlichen Druckbuchstaben und ein weiteres Mal in eleganter Schreibschrift ausgeführt. Dies sei Gebot, Tag ein, Tag aus. Sollte es doch Mal einen unvorhergesehenen Zwischenfall geben, so meldet es der Mitarbeiter pünktlich mit einem detaillierten Schadensbericht. Am Ende des Arbeitstages verabschiedet er sich mit einem höflichen „Auf Wiedersehen“, schaltet das Licht aus und lässt seinen Arbeitsplatz picco bello zurück. Auf dem Weg von der Arbeit nach Hause denkt er über Verbesserungsvorschläge für den nächsten Arbeitstag nach, welche aber besser keine Kosten verursachen werden und er nie nicht ohne Absprache mit dem Vorgesetzten in die Tat umsetzen würde. Auf diese Weise ist ein harmonisches Beisammensein von der Wiege bis zur Barre vorbereitet oder zumindest für die rund 40 (naja, sagen wir eher „50“ für die heutigen Generationen) Arbeitsjahre vom Berufseinstieg bis zur Pension.
„Halt, Stopp! Werden wir endlich realistisch! Schluss mit den staubtrockenen Fantasien eines Vorstandsvorsitzenden! Nix da, von wegen Streichkonzert, jetzt kommt die Blaskapelle!“, möchte man schreien. Das Ganze funktioniert vielleicht in einem Werbespot für eine x-beliebige Versicherung so, aber eine Firma ist nun mal aus Menschen gemacht. Und Menschen machen das Leben in einem Büro häufig unnötig stressig. Menschen rennen hektisch von A nach B, Menschen raufen sich die gelverklebten Haare, Menschen lachen hysterisch, Menschen haben stinkende Schweißteller unter den Achseln und Menschen schreien sich unverhohlen an. Man wünscht sich Ruhe und Ordnung, doch es herrscht Sturm und Affentheater. Dabei könnte es eigentlich so beschaulich und harmonisch zugehen, wenn alle ihren ruhigen Gang täten und ein jeder einfach nur ordnungsgemäß sein Ding durchziehen würde.
Aber nein, Menschen sind nicht nur stressig, sondern meist auch keine weißen Schafe. Viele sind grau und ab und zu befinden sich auch schwarze unter ihnen. Doch selbst schwarze Schafe sind nichts gegen den wahren Alptraum der Firmenführung, den „zügellosen Ochsen“. Dieses Rindvieh verdient seinen Namen durch die Unmöglichkeit ihn zu kontrollieren. Der zuvor gelesene Auszug ist nämlich genau das Gegenteil von dem, was den Ochsen ausmacht. Diese Gattung Mensch – oder Ochse – oder Minotaurus vielleicht – hat ein unbändiges Talent darin, seine Vorgesetzten regelmäßig auf die Palme zu bringen. Ein Hornochse ohne Zügel, mit denen man ihn stoppen könnte. Er ist alles andere als ein Liebling vom System und dies beruht auf Beidseitigkeit, denn jede Regel stellt für ihn eine Hürde dar, die es zu überspringen gilt. In extremen Ausprägungen ist er gar regellos und dank seines Freidenkertums hat er normalerweise auch keine lange Halbwertszeit in einem geregelten Betrieb. Aber diese kann dennoch lang genug sein, um Schaden anzurichten.
Ein typischer Charakterzug ist die stoische Gleichgültigkeit gegenüber seiner Umgebung und die Unbekümmertheit beim Ausführen seiner täglichen Aufgaben. Während die Kollegen nebenan ordentlich Lasagne-Platten übereinander stapeln, kocht er Spaghetti. Auf Gunnars Schreibtisch sieht es aus wie bei Hempels unterm Sofa und die vielen, chaotisch verstreuten, persönlichen Gegenstände erzählen detailliert die Geschichte seines Lebens, samt dem, was er gestern gegessen hat, beispielsweise in Form von schmutzigem Schokoriegelpapier oder brauner Bananenschale. Was hinunter fällt, ist verloren und bleibt für gewöhnlich dort als Almosen für die Reinigungskraft liegen. Nachdem Gunnar getan hat, was er will, lässt er alles stehen. Der Lichtschalter existiert für ihn grundsätzlich nur im Einwegmodus, d. h. nur zum Anschalten, nie zum Ausschalten. Leider mag das auch für andere überlebenswichtige Schalter gelten, wie den Gashahn oder die Toilettenspülung. Seine Devise ist erst machen und dann fragen… nein, vergiss das mit dem Fragen besser gleich ganz.
Bei der Arbeit interessiert ihn nur sein Ziel und das es erreicht wird, nicht wie. Den Spänen, die beim Hobeln entstehen und wem sie auf die Füße fallen, schenkt er keine Beachtung, Empathie kennt er keine. Einmal aus dem Stall gelassen, kennt der Ochse nur eine Richtung, geradeaus. Dinge werden getan und entweder sind sie erfolgreich – dann werden sie gern berichtet – oder nicht, in diesem Fall werden sie unter den Teppich gekehrt, um dort für immer zu verweilen. Und dieser Teppich weist in der Regel schon eine ordentliche Beule auf! Jeder Misserfolg wird einfach wie das schmutzige Schokoriegelpapier bei Seite gelassen.
Gefährlich wird es, wenn Gunnar körperliche, experimentelle oder höchst verantwortungsvolle Arbeit zu verrichten hat. Es ist keine gute Idee, den zügellosen Ochsen ein Flugzeug fliegen zu lassen oder ihm die Aufsicht über ein Atomkraftwerk anzuvertrauen (dann doch lieber Homer Simpson). Er ist ein wandelndes Zündholz in einem Gastank. Dabei müssen seine Ergebnisse gar nicht schlecht sein, er kann durchaus Erfolg mit seinem Tun haben. In so manchem Hollywoodfilm schafft es der zügellose Ochse gar in die Rolle des Protagonisten! Er ist der sympathische Chaot, der sich der strengen Unterdrückung der Obrigkeit widersetzt. Oder auch der Nonkonformist unter den Polizisten, der müde von der schleppenden Bürokratie ist, somit auf eigene Faust für Gerechtigkeit sorgt und die Bösewichter hier und dort mal einfach so niederschießt. Die schillerndsten Filmvorbilder für Gunnar sind die richtig derben Draufgänger. Beispielsweise diejenigen, die in einem Weltuntergangsfilm nachts in ein Chemielabor einbrechen, um sich eine Batterie zu bauen, mit der sie dann in einem selbst konstruierten Raumschiff auf einen neuen Planeten fliehen. Diese Möglichkeiten hat der zügellose Ochse zwar im reellen Alltag nicht, aber sein Problemlösungsansatz ist der gleiche – unkonventionell und effektiv, wenn auch nicht ganz regelkonform.
In Arbeitsbereichen, in denen der Chef ein Problem gelöst haben möchte, ohne zu viel übers „wie“ wissen zu wollen, um nicht Komplize zu werden oder das Gewissen rein zu halten, kann der zügellose Ochse im Geheimen sogar sehr geschätzt sein. Das alles ändert aber nichts daran, dass dich eine enge Arbeitsbeziehung oder Freundschaft mit ihm vor große Herausforderungen zu setzen vermag. Immer wieder besteht die Notwendigkeit zu improvisieren, um die Fehltritte in seinem Marathon der Fehltritte auszubügeln. Gunnar ist einfach prädestiniert dazu, die Kollegen aus seinem direkten Umfeld mit in die Exkremente zu reiten. Denn es ist quasi unumgänglich, sich in seiner Gegenwahrt durchs Verschweigen von Regelmissachtungen oder der von ihm angerichteten Schäden mitschuldig zu machen und sich viel Arbeit beim Hinterherräumen aufzuladen.

Die Orientierung des ungezügelten Ochsen
Das Problem
Als Kollege bereitet dir der zügellose Ochse viel Arbeit und stellt dich immer zu vor schwierige Entscheidungen. Deckst Du ihn bei seinen Fehltritten oder verpetzt Du ihn? Stellst Du dich taub, blind und vielleicht gar stumm oder versuchst Du ihn zu mäßigen? Hast Du ihn zum Freunde, kann er ein treuer Verbündeter sein, der auch Probleme für dich löst, ohne das Firmenprotokoll ganz genau zu nehmen. Vielleicht wird er dich an deine Jugendzeit erinnern? Wer hatte nicht diesen sympathischen Kumpel, der mit seinen originellen und abenteuerlichen Ideen den gesamten Freundeskreis immer wieder in Probleme reinritt, die dann ein anderer aus der Gruppe für ihn lösen musste? In der Jugend fühlen wir uns unsterblich, und über so manche Dummheit aus der Zeit können wir ein Leben lang lachen. Den Spaß eines Jugendstreiches bei der Arbeit zu reproduzieren fällt uns hingegen weitaus schwieriger, und die Konsequenzen sind in der Regel deutlich schmerzhafter, sollte es schieflaufen. Wie ist also mit diesem kaum zu kontrollierenden Kollegen umzugehen, ohne dass es zu chaotisch wird?
Lösung 1: Kontrolliere nicht ihn, kontrolliere den Schaden
Wie sein Name schon besagt, den zügellosen Ochsen kann man nicht einfach ein Pferdegestell (oder Ochsengestell) überstülpen und ihn vor eine Kutsche spannen. Ihn zu dressieren ist nahezu hoffnungslos, so war es und wird es immer sein – mit Sicherheit kann seine Mutter schon ein Lied davon singen, seitdem er ein Kalb war. Nein, um den Schaden zu begrenzen, mag es an dieser Stelle einfacher sein, Präventivmaßnahmen zu ergreifen. Im Kleinen, wie im Großen. Zieh dir dicke Gummistiefel an, wenn er dich durch einen Fettnäpfchen-Parcours schleift und lasse lieber keine unbezahlbare Ming-Vase in seiner Umgebung stehen, wenn Du ihn aus dem Auge lässt. Arbeitet ihr gemeinsam an einem wichtigen Projekt, so kann es nicht schaden, immer mal wieder einen Dritten einen Blick auf die Sache werfen zu lassen. Identifiziere schon im Voraus potenzielle Gefahrenquellen und versuche diese zu reduzieren. Behandle ihn respektvoll, ohne ihm etwas zu verbieten (dann kann er ein dickköpfiger Stier werden), aber sorge dafür, dass er sich selbst den Gefahren des Arbeitsalltages bewusst wird. Solltet ihr gemeinsam technische oder experimentelle Arbeit am Laufen haben, sorge für Transparenz soweit es geht und verschaffe dir ein Alibi in Momenten, in denen er alleine bei der Arbeit ist. Hast Du so auch keinen Feuerlöscher parat, so zahlt aber zumindest die Hausratversicherung für dich, wenn die Bude dann in Flammen steht!
Lösung 2: Zeig ihm die eingeschlafene Schulter
In seinem Handeln spielt zu großem Teil auch der Spaß an Verbotenem eine Rolle. Gunnar hasst Bürokratie und Formulare, er ist ein Mann der Tat und des Abenteuers. Solltest Du bei der Arbeit eng an ihn gebunden sein, kannst Du versuchen, ihn zu zügeln, indem Du seinen Tatendrang etwas drosselst. Auch wenn es euch beiden zu Gute kommt, wenn er heimlich eure Giftmüllfässer in Nacht und Nebel aus der Garage schleppt und im Fluss versengt, zeige dich nicht zu enthusiastisch über seine halblegalen Taten. Denn auch wenn seine Abkürzungen das ein oder andere Erfolgserlebnis beschwören können, so wird es doch ohne Zweifel irgendwann schiefgehen. Möchtest Du keine direkte Konfrontation mit ihm riskieren, so mache ihm dezent dein Desinteresse klar. Übe dein Gähnen, denk an das Unterhaltungsprogramm der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender, die Schulaufführung von Hamlet, die Urlaubsdiashow deines Schwippschwagers, denke an alles, was die Kiefermuskeln auseinanderspreizen lässt. Zeige ihm, dass seine Show dich langweilt. Es wird ihn wohl nicht stoppen, aber vielleicht hilft es immerhin dabei, nicht in seine Eskapaden mit hineingezogen zu werden.
Lösung 3: Finde einen anderen Sündenbock
Er hat Mist gebaut? Ihr habt Mist gebaut? Kein Problem, warum schwärzt Du nicht einfach einen Unbeteiligten für deine und Gunnars Missetaten an? Dieser Lösungsweg ist infam und nur sehr bedingt zu empfehlen – man munkelt, so mancher, der diesen Weg eingeschlagen hat, ist in die Hölle gekommen! Aber manchmal kann es den letzten Ausweg darstellen, um den Kopf aus der Schlinge zu ziehen und dabei unheimlich effektiv sein! Besonders, wenn das Unheil bereits geschehen ist. Unter Mordverdacht zu stehen mag halb so schlimm sein, wenn Du die Mordwaffe auf dem Schreibtisch eines ungeliebten (davon gibt es ja bekanntlich genügend) Kollegen liegen lässt, während der zügellose Ochse ein Foto vom Frevel seiner Tat schießt. Sollte es dann zu gegenseitigen Schuldzuweisungen kommen, so seid ihr immerhin zu zweit, während euer Opfer alleine ist. Wichtig ist nur, dass ihr den richtigen Sündenbock auswählt, jemanden dem keiner glaubt und über dies, der es so richtig verdient. Hinweis des Autors: Dieses Buch ist eine Satire und soll keinesfalls den Leser zu schändlichem Verhalten anstacheln, aber…ich lasse das hier einfach mal so stehen…oder auch nicht! Solltest Du dich von diesem Lösungsvorschlag nur einen Moment lang angesprochen fühlen, dann schäme dich! Pfui! Alles deutet darauf hin, dass auch Du ein großes Ochsenpotenzial besitzt und dass der Sündenbock, den Du finden solltest, Du selbst bist! Dein Einfluss treibt den Kollegen zu seinem unkontrollierbaren Verhalten weiter an. Hast Du dies erst einmal eingesehen, kannst Du an dir arbeiten… Und somit auch an ihm!
