Crazy Colleague #15
Prediger der Kaffeerunde
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Die Geschichte des Kollegen

„Jakobs Krönung macht den Kaffee zum Genuss!“ Und so kam es, dass Isaak ihn bevorzugte und der rechtmäßige Erbe Esau in die lange Röhre schauen musste. (Verbotener Psalm 42)
Gefährlich: 75
Nervtötend: 15
Kompetitiv: 50
Inkompetent: 15

Der Kollege
„Ommmm…ommmm…“
„Am ersten Tag ging das Licht der Maschine an – und ER sah, dass es gut war! Am zweiten Tag erschien der Becher – und ER sah, dass es gut war! Am dritten Tag wurde der Plastik-Rührer herabgelassen – und ER sah, dass es gut war! Am vierten Tag fiel der Zucker – und ER sah, dass es gut war! Am fünften Tag floss der Kaffee – und ER sah, dass es gut war! Am sechsten Tag ertönte der Signalton – und ER sah, dass es gut war! Am siebten Tag entnahm er den Kaffee, betrachtete zufrieden sein Werk und ließ ihn ruhen. Und als er ihn am achten Tag trank, da war der Kaffee kalt und ungenießbar! In Sekundenschnelle im Abguss entsorgt, das kalte Gesöff! Was lehrt uns diese Geschichte? Kaffee wird, im Gegenteil zu klingonischer Rache, heiß und sofort genossen, man kann ihn nicht aufwärmen!“
„Ommmm…ommmm…“
Es ist wieder so weit. Alle Jünger haben sich am Kaffeeautomaten versammelt. In Kürze fängt die tägliche Messe an. Ruhe ist eingekehrt. Man sinniert für sich im Stillen. Wohin man schaut, sieht man viele geistesverlorene Blicke. Mit den Gedanken ist ein jeder in seiner kleinen Welt, bei seinen eigenen heimischen und hausgemachten Problemen. Stille. Eine Uhr tickt, eine Lüftung gurgelt und ein Wischmopp quietscht den Flur entlang. Doch da kommt er auch schon, der Prediger der Kaffeerunde. Halleluja! Er ist kein gewöhnlicher Priester, das heißt mit heiligem Buch in der Hand, geistlicher Kutte mit Kollar, einem Birett und einem Hauch von Eau de Weihrauch. Nein, dieser Prediger ist ein wirklicher „bad ass“, eher vergleichbar mit einem Mix aus einem Freikirchenoberhaupt, Staubsaugervertreter und Rowdy. Der abgesteckte Bereich zum Kaffeetrinken auf dem Firmenflur ist sein Terrain, seine Kirche, hier hat er das Wort. Nein, hier IST er gar das Wort. Dementsprechend, nähert er sich seinem imaginären Rednerpult im lässigen Gang und mit Stil. Die sportliche Sonnenbrille trägt er auch im Gebäudeinneren auf der Nase, und ein Kaugummi hat er stets im Mund, spuckt es nur zum Kaffee trinken aus. Ein hoher Kaugummiverbrauch, folglich.
„Hey ihr Flummis, habt ihr schon auf Daddy gewartet?“, posaunt Jakob in selbstsicherem Ton. Ein Raunen geht durch die Menge, endlich herrscht wieder Leben in der Kaffeezone. Er hebt die Sonnenbrille kurz an, um den jungen Damen in der ersten Reihe charmant zuzuzwinkern und macht das „You are the man“ Handzeichen zu seinen Buddys in der Runde. Die Mädchen kichern verlegen und die jungen Herren erheben stolz die Brust. „Ich erzähl euch jetzt Mal einen Witz – aber passt auf, die Totlachgefahr ist r-e-a-l!“. Vereinzelnd beginnt das Publikum schon zu schmunzeln. Eine angewöhnte Reflexreaktion, schließlich gibt es immer etwas zu lachen, wenn der Prediger mit seinem Programm anfängt. Humor ist der Fels, auf dem er seine Kirche gebaut hat. „Also, ein Spanier, ein Deutscher und ein Afghane gingen eines Sonntags…“ Der Witz muss kurz unterbrochen werden, die erste Person kann sich schon nicht mehr halten vor Lachen.
Der Prediger hat sein Publikum voll im Griff. Dies hier ist seine Show, er sollte Eintritt verlangen. Wäre Jakob geschäftstüchtiger, so könnte er ein wahres Spektakel aus der Kaffeepause machen. Mit nur ein wenig Fantasie läuft der Film im Geiste von ganz alleine ab. Der Raum verdunkelt sich, eine Nebelmaschine zischt und pustet dicke Schwaden in den Korridor. Die Anspannung wird immer größer, die Luft ist dick, nicht nur vom Nebel, sondern auch vom Nervenkitzel… und dann geht es los, mit einem kräftigen Knall. „The Final Countdown“ von Europe setzt ein und die Silhouette des Kaffeeautomaten zeichnet sich ab. Es herrscht immer noch Dunkelheit, nur die Lichter der Kaffeemaschine blinken kräftig im Korridor zum Rhythmus des Liedes und preisen die große Vielfalt von Kaffeeprodukten an, die doch alle gleich schmecken. Dann gibt’s eine weitere kleine Explosion und mit einem Sprung ist er da, der Prediger. „Leute seid ihr gut drauf?“. Mit Schwung reißt er die Hände hoch. „Ich habe gefragt, SEID IHR GUT DRAUF?!“. Er läuft auf und ab, nickt mit dem Rhythmus und klatscht in die Hände, das Publikum jubelt. „Nun frage ich euch…seid ihr bereit… für eine ganz besondere Erfahrung…“. Suspense. „WOLLT IHR EINEN KAFFEE?!“. Jetzt hält es keinen mehr auf den Rängen! Schreie und Gekreisch! Kling, Klong, Klang, schmeißt der Prediger Münzen in die Maschine und das schwarze Gold beginnt durchzulaufen.
Der Geschmack des billigen Kaffees bringt uns zurück in die Realität. Während für einen nach dem anderen die dunkle Plörre durchtropft, gestikuliert er, erzählt Witze, verbreitet die neuesten Firmengerüchte, macht sie über die Führung lustig und die Heerschar seiner Anhänger wird immer größer. Er ist redegewandt wie eine Symbiose aus Gebrauchtwagenhändler und Thomas Gottschalk nach dem dritten Gläschen Eierlikör. Das Publikum klebt an seinen Lippen, ist bereit ihm überall hin zu folgen. Würde er rufen, „kommt Leute, wir fliegen auf den Mars!“, so wäre schon jemand am Telefon mit Elon Musk, um bei Space X ein Shuttle zu reservieren. Würde er in diesem Moment zum Spenden für Eritrea aufrufen, so wäre es Schwupps kein Entwicklungsland mehr, sondern aus den großzügigen Beiträgen der Belegschaft würden dort goldene Paläste entstehen. Wir wollen nicht wissen, wohin das Ganze führen könnte, würde er den totalen Krieg ausrufen!
Diese Darstellung sollte bildlich die Rolle des Predigers der Kaffeerunde illustrieren. Es ist dieser Kollege, welcher im Arbeitsalltag ganz unscheinbar daherkommen mag, vielleicht sogar seine Zeit in der bedeutungslosesten Position der Firmenhierarchie dahinfristet, aber mit seinem Charisma und Witz in den zehn Minuten Kaffeepause, die ganze Firma zu erobern weiß. Selbst wenn Du denkst, „nun ist sein Magazin verschossen“, hat er immer noch einen Witz auf Lager oder ein originelles Gesprächsthema bereit. Auf Grund seiner Beliebtheit weiß er alles über seine Gemeinde, d.h. die Menschen in der Firma, denn man vertraut sich ihm gern an und möchte bedeutende Ereignisse von ihm kommentiert haben. In den Pausen wird Jakob förmlich angefordert, um Witze erzählt zu bekommen, den Tratsch des Tages zu hören und schlichtweg die Leute zu unterhalten. Das viele seiner Ausführungen in Monologen stattfinden, stört die meisten nicht, keiner würde seinen Humor und sein Unterhaltungstalent in Frage stellen. In frühen Morgenstunden sind die Kollegen sowieso noch verschlafen und froh, wenn sich jemand anders ins Rampenlicht drängt. Genau das ist sein Moment!

Die Orientierung des Predigers der Kaffeerunde
Das Problem
Zunächst einmal, muss der Prediger nicht zwangsläufig ein Problem darstellen, sondern kann auch gut und gerne eine Bereicherung für dich im Arbeitsalltag sein. Jedoch, stellt er potentiell einen großen Gefahrenherd für dein soziales Wohlempfinden im Büro dar, sodass es richtig ist, ihn in diesem Buch ausführlich zu behandeln. Denn solltest Du dich mit ihm verkrachen, so verschaffst Du dir einen mächtigen und unangenehmen Gegenspieler. Du machst dir dann einen Lautsprecher zum Feind, der seinem Publikum die krummsten Ideen über dich ins Ohr pflanzen kann. Denk daran, er ist der Prediger, sein ist das Wort und sich diesem zu widersetzen gleicht für viele der Blasphemie. Seine Jünger sind vielzählig und manche folgen ihn mit nahezu religiösem Eifer. Nimmt Jakob dich als Bösewicht in seinen Predigten auf und macht dich zum Teufel seiner Kirche, na dann, gute Nacht! Der Firmenpöbel wird dich schneller als Gottes goldenes Kalb einschmelzen. Auch heutzutage brauchen die Menschen noch jemanden, den sie der Hexerei beschuldigen können. Der Scheiterhaufen ist zum Glück abgeschafft, aber mentale Foltermethoden erfreuen sich wie eh und je großer Beliebtheit! Wie entkommst Du diesen, sollte das Verhältnis zwischen euch angespannt sein?
Lösung 1:Gang nach Canossa, erbitte Absolution
Der Lösungsweg mag trivial klingen und nicht immer Gerechtigkeit bringen, doch mit keiner anderen Persönlichkeit ist er so erfolgversprechend und einfach zu gehen wie mit dem Prediger. Es ist der Pfad des Zens. Solltest Du einen Beef mit ihm haben, so gewähre ihm ruhig ein wenig taktischen Kredit und nimm auch ohne Bedenken etwas mehr Schuld auf dich auf, als Du es im ersten Moment für richtig hältst. Der einfachste Weg zur Beendigung von Streit ist es, ihn direkt um Entschuldigung und Frieden zu bitten. Du wirst dich dabei nicht einmal wie bei einem katholischen Priester auf einen Beichtstuhl setzen und peinliche oder pikante Details über dein Leben preisgeben müssen, es reicht bestimmt eine kleine Klarstellung oder ein einfaches Vergebungsgesuch. Warum Du dir sicher sein kannst, dass eine simple Entschuldigung wohl reicht? Ganz einfach, schon aus dem Grund, dass ihm Streit mit dir nicht gelegen kommt, er würde eine Ablenkung für seine Predigten darstellen. Wie kann er dich zum Ziel seiner verbalen, sarkastischen Attacken vor seinem Publikum machen, wenn Du zuvor deinen Gang nach Canossa absolviert hast und er dir „vergeben“ hatte? Wie es damals schon König Heinrich IV mit Papst Gregor VII getan hat, spiele den Priester in Jakob für deine Interessen aus!
Lösung 2: Mach es wie Heinrich VIII, eröffne eine Gegenkirche
Heinrich IV liegt dir nicht? Kein Problem, mache es wie Heinrich VIII! Gründe eine Gegenkirche! Du glaubst, deine Beliebtheit bei den Kollegen reicht nicht aus, um eine von ihm unabhängige Gruppe zu etablieren? Du fühlst dich nicht schlagfertig genug und denkst, er wird auf Grund seines Talents zum Entertainer immer mehr Anhänger haben als Du? Das mag ja alles stimmen, aber Beliebtheit am Arbeitsplatz hat auch immer eine Kehrseite. Niemand kann bei allen beliebt sein, denn schon mit Popularität allein macht man sich Feinde. Je mehr Anhänger er hat, desto leichter könnte es für dich sein, eine zweite Kirche zu errichten. Da sollte es schon ausreichen, wenn Du nur halb so charismatisch und witzig bist wie er. Wichtig ist nur, dass Du eine alternative Gruppe zu seiner konventionellen Kirche anbietest, in welcher auch diejenigen Beachtung finden, die bei seinen Predigten oft außen vorgelassen werden. Auch König Heinrich VIII war bei weit nicht allen beliebt, aber die Aussicht auf eine alternative Verteilung der Macht reichte, um genügend Katholiken für seine eigene Kirche zu bekehren. Mach es ihm nach! Aber lasse besser den Teil mit dem Köpfen von Ehefrauen weg, das ist nicht mehr zeitgemäß!
Lösung 3: Absicherung im Stile Bismarcks - Diplomatie am Kaffeeautomaten
Vielleicht kannst Du ihm hinsichtlich Spritzigkeit nicht das Wasser reichen, bzw. nicht den Kaffee, aber Du kannst dich dennoch im Vorfeld vor einer gefährlichen Auseinandersetzung mit ihm absichern. Dazu bedarf es Diplomatie und Verhandlungsgeschick. Es sind nicht, wie fälschlicher Weise angenommen, etwa Besprechungssäle oder Luxusbüros, in denen wahre Netzwerke gestrickt werden und die hohe Kunst der Diplomatie stattfindet. Nein, es ist die Zone rund um den Kaffeeautomaten, wo die wichtigen Entscheidungen getroffen werden! Nutze seine Auftritte am Automaten, um in Rahmen dieser Bündnisse zu schmieden. Stell dir die Situation wie bei einem Lagerfeuerkonzert vor: Es ist nicht der Gitarrist, der das Herz des Mädchens gewinnt, sondern derjenige, der ihr beim romantischen Geklampfe die Hand hält. Knüpfe Freundschaften und sorge dafür, dass weder er, noch jemand anderes dich in einen Streit hineinziehen können, ohne dass es hier, im Firmenflur zu einer Eskalation kommt. Wie es damals schon Bismarck während der angespannten Situation in Europa und der Welt durch Nicht-Angriffspakte und Geheimbündnisse gelang, eine Eskalation aufzuschieben, so sorge auch Du in deinem kleinen Terrain für Frieden durch Taktieren. Das nur kurze Zeit später, nachdem sein Bündnissystem ohne ihn in sich zusammenstürzte, der erste Weltkrieg ausbrach, muss dir keine Sorgen bereiten. Was nach dir hier im Firmenflur geschieht, ist sicherlich nicht dein Bier, sondern das des nächsten Schmalkaffeediplomaten.
