Crazy Colleague 13
Der Fußballfan
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Die Geschichte des Kollegen

„Ihr könnt nach Hause fahren, ihr könnt nach Hause fahren, ole ole! Ole ole!“ – Ein klassischer Fußballfan in leitender Funktion um Punkt 17 Uhr zu seinen Angestellten.
Gefährlich: 25
Nervtötend: 80
Kompetitiv: 25
Inkompetent: 80

Der Kollege
Woran erkennt man den fanatischen Fußballfan bei der Arbeit? Die Antwort auf diese Frage zu finden, verdient nicht einmal die Bezeichnung „Kinderspiel“, so einfach ist es, den Fußballfan zu identifizieren. „Krabbelgruppenlevel“ oder „Schnuller-Runde“ trifft es eher. Für den waschechten Fußballfan wie Otto ist der Sport kein Hobby, sondern sein Leben und er lässt keine Gelegenheit bei der Arbeit aus, dies zu zeigen. Und nicht nur das, der wahre Fan wird dafür sorgen, dass auch seine Lagerzugehörigkeit auf die eine oder andere Weise allen Kollegen klar wird. Denn Sport ist für Otto auch Religion und Ungläubige müssen entweder konvertiert oder mit Gewalt davon überzeugt werden, dass sein Club der einzig wahre auf der Welt ist. König Fußball regiert!
Die sofasportliche Abhängigkeit des Fußballfans kann sich auf viele Weisen äußern und auf noch mehr Weisen stören. Bei subtileren Formen der Balleritis beschränken sich die Symptome der Sucht auf Kleinigkeiten wie z.B. die übermäßige Verwendung von abgedroschenen Sportmetaphern in jeder erdenklichen Situation: „Wir müssen das Projekt einlochen; da hast du mir aber eine Steilflanke serviert; wir müssen raus aus dem Abseits und mal richtig losstürmen; das war die gelbe Karte, noch so ein Ding und ich zeig dir die rote Karte!“. Die Liste an Metaphern gleicht einem Spiel von Energie Cottbus gegen den SC Paderborn, sie scheint nicht enden zu wollen. Aber solange sich Ottos Leidenschaft nur dezent und verbal äußert, ist es falsch von DEM Fußballfan zu sprechen. Das Hobby „Fußball“ ist bekanntlich weit verbreitet und den meisten von uns gelingt es, einen gesunden Umgang mit ihm und der regelmäßig aufkeimenden Begeisterung bei „wichtigen“ Turnieren zu pflegen. In diesen Fällen sprechen wir vom gesitteten Fußballfan. Doch auch wenn man diese moderate Form häufig vortrifft, geht es hier um ihn eigentlich gar nicht, denn er ist in der Regel unproblematisch. In diesem Kapitel geht es um den radikalsten Auswuchs, den „Fußball ist mein Leben“-Typ, also 90-plus-30-plus-Elfer Otto, der das ganze Paket an Symptomen mit sich bringt.
Otto ist keine raffinierte Persönlichkeit. Er ist derjenige, der sich gewonnene Pokale auf den Körper tätowiert, der auch mit Trikot ins Büro kommt und der gelinde gesagt, sein Spiel nicht hinter dem Zaun hält, sondern im vollen Stadion zur Schau trägt. Unangenehmer Weise ist Intelligenz nicht seine Stärke. Bei ihm kullert nur ein kleiner Ball in dem Raum, den eigentlich zwei Gehirnhälften einnehmen müssten, hin-und-her und leider kommt es selten zum Tor. Seine sprachliche Entwicklung ist in der Kindheit stehen geblieben und am liebsten benutzt er Einsilber wie „Ole“ und „Buh“, während er Konjunktive hasst. Um Ideenarmut und Bildungslücken zu verschleiern, greift er gerne die Zitate seiner Idole auf (Stichwort „ob Mailand oder Madrid, Hauptsache Italien!“).
Trotz oder vielleicht sogar auf Grund seiner intellektuellen Defizite kennt dieser intensive Fall von Balleritis keine Zurückhaltung und es kann dann schnell peinlich mit ihm werden. Ein gefundenes Fressen für schadenfreudige Liebhaber von Fremdscham bei der Arbeit sind Situationen, in denen er glaubt, sich wie zu Hause fühlen zu können. Die Belustigung seiner Kollegen kennt keine Grenzen, wenn er zum Beispiel auf Firmenfesten ohne einen Ton zu treffen „Allee, Allee, eine Straße, viele Bäume, das ist eine Allee“ oder gar „Ole, wir fahren in Puff nach Barcelona“ singt, bzw. grölt und dem Chef die Sektbowle wie einen biergefüllten Pokal über dem Kopf entleert.
Eine weitere Schwäche Ottos ist sein Pech. Er ist wahrhaftig ein großer Pechvogel, ausgerechnet zur Weltmeisterschaft ist er disproportional häufig krankgeschrieben. Das er simuliert ist undenkbar, von Schwalben hält er gar nichts. Wie zum Beweis, wird sein Leid durch die heisere Stimme deutlich, mit der er am Tag nach dem Spiel wieder zur Arbeit erscheint. Fast so, als hätte er den Vortag vor Freude durch gegrölt oder aus Wut unaufhörlich gebrüllt. Wie das Schicksal so will, kann sich dieses unerklärliche, gesundheitliche Problem in die Länge ziehen, besonders wenn das eigene Land einige Runden beim Turnier überstehen sollte.
Wie fügt sich Otto in dein Sozialleben am Arbeitsplatz ein? Das steht in den Sternen. Wichtig für den Aufbau einer vernünftigen Beziehung mit ihm ist, dass Du im Büro nicht die falschen Farben trägst – nämlich die des Stadtrivalen seines Clubs. Das wäre schlimmer als das Aufeinandertreffen zweier Schauspielerinnen mit demselben Kleid bei der Oscarpreisverleihung. Zwar sind viele der Fußballfans professionell genug, diesen Fauxpas zunächst herunterzuspielen und erkennen vielleicht sogar an, dass deine Kleidungswahl keine böse Absicht war, aber das Unterbewusstsein wird das Seine tun. Auf unerklärliche Weise wirst Du Otto für den Rest der Woche unsympathisch sein. Deshalb ist es ratsam, sich ein bisschen über diesen Kollegen und seine Fußballvorlieben zu informieren – oder einfach einen Kleidungsstil mit Farbkombi zu wählen, die nicht oft in Vereinsfarben vorkommt, wie etwa rosa-braun, ocker-zitronengelb, türkis-orange.
Natürlich hat der Fußballfan auch einige Vorzüge und kann ein wirklich guter Kumpel sein. Eine Stärke des Fußballfans ist seine Treue und Begeisterungsfähigkeit. Brauchst Du moralische Unterstützung, so kannst Du auf ihn bauen. Durch seine langjährigen Erfahrungen mit Aufstiegen und Abstiegen, Pokalen und tief schmerzenden Niederlagen, ist er wie ein Hobbytherapeut auf jegliche Schicksalsschläge (zumindest, solang es sich nicht um einen erfolgsverwöhnten Bayernfan handelt) des Lebens vorbereitet und weiß dir beizustehen, „Ju will neva walk älon mei fränd!“. Durchlebst Du einen schweren Moment, so weiß er, dass ein gemeinsames Bier aus der Dose eine bessere Medizin als tausend schöne Worte ist.
Außerdem zeichnet den Fußballfan aus, eines der raren Beispiele für eine authentische Persönlichkeit zu sein, so wie man sie heutzutage nur noch selten im Büro vorfindet. Seine Motive sind klar und rein und er ist tolerant gegenüber Andersdenkenden. Die Kleinigkeiten, die täglich am Arbeitsplatz oder in der Weltpolitik geschehen, werden nie einen Keil zwischen eure kollegiale Beziehung treiben. Egal welcher Kirche, welchem politischen Verein oder welcher philosophischen Grundeinstellung Du angehörst, er wird dir alles verzeihen. Abgesehen von dem Fall natürlich, dass Du eine Lieblingsmannschaft seiner „verbotenen Liste“ anfeuerst, das wäre unverzeihlich. Diese kann sich je nach Fan auf die Bayern beschränken oder die restlichen 17 Vereine der Bundesliga umfassen. Die größte Gefahr für euer Verhältnis entsteht dann, wenn auch Du zur Kategorie „Mein Leben gehört dem Ball“ gehörst. Dann kann eine schlecht gelaufene Partie zwischen euren Lieblingsmannschaften euer gutes Verhältnis ganz schnell zum Zerplatzen bringen – denn typischer Weise geht die Partie in einem K.O.-Spiel für einen von beiden immer schlecht aus.

Die Orientierung des Fußballfans
Das Problem
Egal ob Du für Otto Sympathien übrighast oder nicht, am Arbeitsplatz kann übermäßige Fußballbegeisterung peinlich sein. Eigentlich muss das nicht dein Problem sein. Bist Du aber zu einer tiefsinnigeren Interaktion mit dem Fußballfan gezwungen, als gemeinsam den Kopierstau im Drucker zu beenden, so kann er zu einer sozialen Herausforderung werden. Der Fußballfan ist sehr extrovertiert und auch wenn Du auf Grund der Unterschiede in der Sprachfertigkeit zwischen euch als ganz klarer Sieger eines verbalen Konfliktes herausgehen würdest, so besteht die Gefahr, dass er nicht versteht, wann es besser ist, die Stiefel an die Wand zu hängen und das Spiel zu beenden. Was ein gesichtswahrendes null zu eins für euch sein könnte, wird zum Debakel für ihn, eine Schmach, wie ein Comeback des Olli Bierhoffs als Mittelstürmer. Dadurch nährt sich die Rivalität zwischen euch und Revanchegelüste bauen sich in ihm auf. Fußball lebt von Wiederholungen, eine Saison folgt auf die nächste und er wird dich immer wieder herausfordern. Nachtragend und ohne Rücksicht würde er nicht davor scheuen, den Konflikt sogar auf die Firmenbühne zu bringen. Alle dürfen teilhaben, jegliches Schamgefühl hat er längst abgelegt. Hauptsache er wird irgendwann Weltpokalsiegerbesieger und kann es dir heimzahlen, wenn auch zu einem Preis, der die WM in Katar ein Schnäppchen erscheinen lässt!
Lösung 1: In der dritten Halbzeit geht das Spiel erst los!
Die neunzig Minuten sind wichtig, aber das wahre Spiel wird erst in der dritten Halbzeit ausgetragen. Nicht wie bei den Hooligans, mit Gewalt und knackenden Knochen, aber Abseits des Stadions in einer Bar. Vielleicht mit knackenden Salzstangen und würzigen Chips. Das Netzwerken mit dem Fußballfan funktioniert viel besser fern abseits des Firmengeländes. Du musst nicht kreativ sein. Triff dich in der Freizeit mit Otto, um gemeinsam ein Spiel seiner Mannschaft zu sehen und eure Beziehung wird zu einem Selbstgänger! Zumindest solange Du an den richtigen Stellen mit ihm jubelst oder auf die Tränendrüse drückst (Aber Achtung! Diese beiden Aktivitäten sind nicht miteinander austauschbar, für beides gibt es den richtigen Moment! Der Fußballfan reagiert leicht verärgert, solltest Du ein Tor gegen seine Mannschaft ausgelassen feiern!). Selbst wenn Du Fußball verabscheuen solltest, der Einsatz dieser Zeit lohnt sich. Die Emotionen, die ihr gemeinsam durchlebt, bzw. die DU ihm vorgaukelst, werden euch zusammenschweißen. Greif die Gelegenheit beim Schopfe – oder beim Vokuhila – um mit Otto einen Pakt zu schmieden, der dir dabei hilft, Fußball von deinem Arbeitsplatz fern zu halten: Fußball ist euer Band – aber nur während der dritten Halbzeit! Davor ist es Tabu, über dieses Hobby zu reden. Die dritte Halbzeit wird dann euer Ding und der Friede im Büro ist für dich gesichert.
Lösung 2: Hattrick ins Wembley-Tor
Das Wembley-Tor ist einer dieser Momente, welche dem Fußballfan die Welt auf den Kopf stellen. Ihm wird bewusst, dass nichts auf Erden sicher ist. Die Grenzen von Realität und Fantasie verschwimmen. Schrödingers Fußball. Ist er aufgepumpt oder platt? Niemand weiß es, doch sobald Du gegen trittst, geht die Luft raus. Das Wembley-Tor war ein Phantomtor, bei dem der Schiedsrichter irrtümlich entschieden hatte, dass der Ball hinter der Torlinie war, was die Niederlage der deutschen Mannschaft 1966 gegen die Engländer im Weltmeisterschaftsfinale einleitete. Dabei hätte man selbst mit Tomaten auf den Augen sehen müssen, dass dem nicht so war.
Willst Du dir den Fußballfan vom Leib halten, so musst Du ihn an diese schmerzhaften, ungerechten Momente im Leben erinnern. Jeder richtige Fußballfan hat einen vergleichbaren Moment erlebt, in dem die ganze Welt über ihm zusammenzubrechen scheint: Ein Pokal glitscht auf Grund eines verschossenen Elfmeters aus den Händen oder der Abstieg steht dank der Schwalbe des gegnerischen Schönwetterspielers fest. Erinnere ihn immer und immer wieder an diese Momente, dass wird er emotional nicht verkraften. Eine grausame Methode um sich den Fußballfan vom Leib zu halten, aber sie funktioniert garantiert! Schließlich wird er sich von sich aus in deinem Spiel auf die Ersatzbank setzten.
Lösung 3: Probiere es mit einem Seitenwechsel
Fußballfans tuen stark und stolz, aber in Wirklichkeit sind sie sehr empfindlich und verspüren in ihrem Sport komplexe Emotionen. So kann der gutgemeinte Versuch, zusammen mit ihm die Siege seiner Mannschaft feiern zu wollen, leicht fehlschlagen, wenn er empfindet, dass Du kein wirklicher Fan bist und Du ihm nur etwas vormachst. Sehr unsensibel von dir! Die folgende Überlegung ist besonders dann wertvoll, wenn es darum geht, die Gunst des Fußballfans zu gewinnen. Du hattest einen schlechten Start mit Otto? Mach dir nichts draus! Fußball spielt man bekanntlich in zwei Halbzeiten und die zweite kann manchmal den ganzen Spielverlauf der ersten auf den Kopf stellen. Möchtest Du ein gutes Verhältnis zum Fußballfan pflegen, aber deine Bemühungen haben bis jetzt nicht so richtig gefruchtet, mache eine Pause in der Kabine und spiele in der zweiten Halbzeit eine andere Partie. In der soeben beschriebenen Situation, kann es besser sein, dich als Anhänger des Rivalen zu outen, anstatt einen auf falschen Fan zu machen und ihm das Grüne vom Rasen zu erzählen. Vielleicht werdet ihr so nie heiraten oder Händchenhalten, aber es könnte seine Spielinstinkte wecken und in einem liebevollen „sich-gegenseitig-necken“ Verhältnis enden, mit vielen kleinen, nett gemeinten Sticheleien. Es gibt hier kein Patentrezept, manche Fußballfans benötigen Zuneigung und eine Schulter für schwere Momente, andere wiederum lieben es gerade, sich gegenseitig zu provozieren. Wichtig ist zu wissen, dass Du am Anfang noch die Seiten wechseln kannst. Du kannst dich als Rivale outen oder dich zur guten Seite bekehren lassen. Aber Du darfst nicht zu lange warten, denn nichts verachtet der Fan mehr als Untreue im Sport.
